Home

Ein Bild des Jammers – anders kann man die aktuelle politische Situation in der jungen Demokratie Ösien nicht beschreiben. Doch anders als in vorhergegangenen Schwächephasen scheint die Krise der politischen Eliten diesmal tiefer gehend, an den Grundfesten rüttelnd, vielleicht sogar ein Ende jenes Ösiens in sich tragend, wie die meisten von uns es seit ihrer Jugend kennen.

Piraten: Gefährliche Spinner mit Zug zum Tor. (Foto: Westfälische Nachrichten)

Die Ursache ist leicht identifiziert: Der seit langem im Gang befindliche gesellschaftliche Verfall hat nunmehr auch die etablierten, ehedem „staatstragenden“ Parteien erreicht. Diese Entwicklung reicht von mangelhaften Umgangsformen der Jugend beim Grüßen, in der Bekleidung oder bei Tisch über einen Proletarisierungstsunami in allen Lebensbereichen und -altern bis zum Vergessen der simpelsten Verhaltensmaßregeln aus der Rubrik „Das tut man nicht“ bei den gesellschaftlichen und politischen Eliten. Reichte früher der bloße Verdacht eines Fehlverhaltens, um einen Verlust des guten Rufes und/oder eines politischen Amtes zu bedeuten, feiert man heute ausgelassen vor TV-Kameras weiter, auch wenn man Stammgast auf den Gerichtsseiten oder – in einem besonders hartnäckigen Fall – bereits verurteilt und nach ein paar Monaten wieder freigesprochen worden ist.

Bedeutete noch vor kurzem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe oder sexuellen Minderheit ein Handicap in der gesellschaftlichen Anerkennung, scheint die Andersartigkeit heute eine Grundvoraussetzung für den Aufstieg in Job und Society zu sein. Wie mit der Abbruchbirne werden – zum Großteil bewährte – gesellschaftliche Konventionen in Schutt und Asche gelegt, die Kunst reitet voran und dehnt ihre Freiheit bis auf den letzten Nanometer: Kaum mehr eine Bühne von Rang ist übrig, auf der nicht schon uriniert, masturbiert, defäkiert oder koitiert worden ist. Geburt und Tod sind Gegenstand der Werbung, vom Muttermund bis zur Aidsleiche ist alles fotografiert und ausgeweidet, kein Tabu übrig, das nicht bereits möglichst effektheischend gebrochen worden ist. Und dann?

In der Wirtschaft greift dieser Verfall der Sitten, befeuert durch die blanke Geldgier, noch rasender um sich. Die Folgen sind so erschreckend, dass bereits der Ruf nach der Rückkehr der „bürgerlichen Tugenden“ – wie Mut, Liebe, Mäßigung, Gerechtigkeit, Respekt, Glaube und Hoffnung – laut wird. Denn diesen würde die westliche Welt ihren Reichtum verdanken, ist die Wirtschaftswissenschafterin Deirdre McCloskey überzeugt. Sie träumt von einer Ökonomie, die über die reine Nutzenmaximierung hinausgeht und zur tugendhaften Ganzheitlichkeit des Menschen führt. Der Schönheit ihres Modells der „Humanomics“ tut auch der Umstand keinen Abbruch, dass Universitätsprofessorin McCloskey vor der Geschlechtsumwandlung Donald hieß.

Doch die Politik, die als einzige Kraft – die Kirche ist zum Museum ihrer selbst geworden – den Widerstand gegen den Zeitungeist bewirken könnte, liegt in Agonie. Eine Erhebung des Vertrauensindex zeigt, dass der derzeit vertrauenswürdigste Christkonservative weder der Vizekanzler noch eines seiner Regierungsmitglieder ist, sondern der – in Restösien weithin unbekannte – Landeshauptmann von Oberösien. Der wohl seriöse, aber charismafreie Parteichef findet sich in der eigenen Truppe erst auf Platz elf, die auf ösischer Ebene verhaltenskreative und in Europa tollpatschige Finanzministerin liegt gemeinsam mit dem Klubobmann am unteren Ende der Skala. Die ehemalige Stütze der Republik hat mit Burn-Out-Symptomen zu kämpfen und ist derzeit keine Hilfe im Kampf gegen den Niedergang.

Ein wenig besser geht es den Sozialdemokraten, obwohl es dafür bei genauer Betrachtung keinen Grund gibt: Auch der Bundeskanzler steht wegen der Finanzierung diverser medialer Beweihräucherungen in einem schiefen Licht und verwaltet den Nachlass einstiger, wen auch eingebildeter Größe, statt machtvoll gegen den Verfall anzukämpfen. Die Folgen sind dramatisch: Die Menschen Ösiens haben ihre politischen Repräsentanten dermaßen satt, dass nun sogar der bisher logische Nutznießer, ein inhaltlich substanzloser Proteststimmenfänger, Konkurrenz bekommt.

Denn vom wunschlosen Unglück der Regierenden zum Leben erweckt, hebt eine gefährliche Hydra die Köpfe: die Piraten. Man könnte sich über die hochmotivierten, aber ahnungslosen jungen Leute lustig machen, die sich anschicken, Politik zu spielen – wenn die Sache nicht so ernst wäre. Denn Politik ist nicht nur ein gut bezahlter Zeitvertreib für mediengeile Profilierungsneurotiker oder ein Experimentierbaukasten für „Politjugend forscht“ , sondern ein höchst verantwortungsvolles Geschäft, bei dem mit enormen Summen Geldes die künftigen Lebensbedingungen der Menschen eines ganzen Landes gestaltet werden. Trotz jahrzehntelager Erfahrung bringen schon die „Alt“-Parteien kaum mehr Gemeinwesenmanager angemessenen Formats hervor, die Piraten werden an dieser großen Aufgabe hilf- und heillos zerschellen und untergehen. Und mit ihnen das Land und seine Bürger, wenn ihnen die „richtige“ Politik nicht bald wieder gute Gründe gibt, sie auch zu wählen.

Zur thematischen Vertiefung: http://www.deirdremccloskey.com, The Bourgeois Revaluation

Ein Kommentar zu “Niedergang

  1. Dieser Satz gillt wohl überall auf der Welt, so auch in Ösien……
    Politician in any political position are, per definition, unqualified, incompetent and self-serving.

Hinterlasse eine Antwort zu Andreas Hubertus Johannes Jäger Antwort abbrechen