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Kakanig, im Dezember 2007. Für die südlichste Provinz Ösiens bricht in diesen Tagen ein neues Zeitalter an: Durch den Beitritt des Nachbarlandes Slewonien, mit dem Kakanig eine meist unwegsame Gebirgsgrenze im Süden und eine wechselhafte Geschichte verbindet, zu einem europäischen Abkommen fallen nun die Grenzbalken zwischen den beiden Ländern. Der Kessel von Kakanig – vom Norden, Osten und Westen seit jeher durch mächtige Bergketten, vom Balkan seit dem letzten großen Krieg durch den Eisernen Vorhang des Kommunismus abgeschnitten – öffnet sich hin zum lebendigen, maritimen Süden, zu großen Häfen, neuen Märkten und belebenden Einflüssen.  

Eigentümlich. Forscher sehen in der zum Teil jahrtausendelangen natürlichen Abschottung Kakanigs den Grund für viele Eigentümlichkeiten, mit denen der – mit Ausnahme zweier größerer Dörfer –in zahllose, meist dicht bewaldete Talschaften gegliederte Landstrich immer wieder die Aufmerksamkeit und das Kopfschütteln der Nachbarprovinzen erregt. Bis heute hinkt Kakanig bei der Kaufkraft und der wirtschaftlichen Entwicklung in Ösien hinterher. Erst vor etwa 40 Jahren wurde begonnen, die mit einer halben Million Menschen spärlich besiedelte Region durch den mühsamen Bau von Autobahn- und Zugsverbindungen nach Germanien und in Ösiens Hauptstadt Win mit unzähligen Tunneln und Brücken verkehrsmäßig zu erschließen. Jetzt bricht auch der Süden auf, reißt Kakanig aus der Isolation und verspricht eine goldene Zukunft. 

Freilich: An Kakanig geht dieser Anschluss an den Rest Europas weitgehend spurlos vorüber.  Die größte Chance des Landes seit mehr als einem halben Jahrhundert wird hierzulande auf dem Niveau der Gefährdung der Tabakhändler durch billige Rauchwaren aus Slewonien diskutiert. Statt großangelegter Feierlichkeiten mit dem rituellen Abbruch der Grenzanlagen, gemeinsamen Festakten mit dem alten, neuen Nachbarn und Freudenfesten der Bürger beiderseits der gefallenen Grenze diskutieren die Volksvertreter lieber darüber, wie man weitere slewonische Schilder – eine Forderung der slewonischen Minderheit – an Kakanigs Straßen verhindern könne. Dem neugewählten Präsidenten Slewoniens ließ der hitzige Hauptmann von Kakanig zur Begrüßung ausrichten, er sei ein gestriger Kommunist und solle sich ja nicht trauen, sich einzumischen. 

Bekenntnis. Dennoch ist der Aufbruch nicht aufzuhalten. Viele Menschen spüren, dass eine neue Zeit kommt, die die alte, als man laut der Landeshymne Kakanigs die Grenze mit Blut schrieb, überwindet. Während sich die offizielle Provinz im Abwehrkampf gegen slewonische Funktionäre und Ortstafeln befindet, sind heuer erstmals in der Geschichte Kakanigs mehr als 40 Prozent der Volksschüler zum zweisprachigen Unterricht angemeldet worden. Das ist weniger ein politisches Manifest als ein starkes Bekenntnis zu Mehrsprachigkeit und gemeinsamer Zukunft, und auch immer mehr Wirtschaftstreibende werden zu Grenzgängern. Der Kessel von Kakanig ist Vergangenheit, auch wenn es manche noch nicht wahrhaben wollen. 

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