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Über das Schlagwort „Work-Life-Balance“ ist auch an dieser Stelle schon geschrieben und gelästert worden. Dass sie einen Gegensatz insinuiert zwischen Arbeit und Leben, der faktisch falsch ist; über das „Framing“, das durch einen ebenso vorsätzlich wie hinterhältig konstruierten Bedeutungsrahmen Perspektiven und Realitäten verzerrt; zur drohenden Unfinanzierbarkeit unserer staatlichen Sicherungssysteme, weil mit der Teilzeitmentalität kein Vollzeitstaat zu machen ist. Und immer schwingt die – teils stillschweigende, teils ausgesprochene – Kritik der Älteren an den Jüngeren mit: Die „Generation Z“ würde sich auf den Lorbeeren der Altvorderen ausruhen und habe das Arbeiten verlernt.

Der ewige Untergang

Das wäre jetzt grundsätzlich im Westen nichts Neues. Seit Jahrtausenden sehen kluge Leute angesichts des Fortpflanzes (©Polly Adler) das Ende der Welt gekommen. „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte“, prangt auf einer Tontafel der Sumerer, mutmaßlich aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Seitdem sind immer wieder Zeugnisse der Entfremdung zwischen den Generationen überliefert. Und dennoch sind wir bis heute nicht untergegangen, wenn es auch diesmal endgültig so weit sein soll. Allerdings ist jetzt nicht die Jugend schuld, sondern die schmutzigen alten weißen Männer; das Kohlendioxid, Sie wissen schon.

Schnauze voll?

Vielleicht greift aber das „Narrativ“ von den jungen Leuten, die nicht mehr arbeiten wollen und damit das Sozialsystem und den Wohlstand der Gesellschaft gefährden, zu kurz. Denn bei genauerer Betrachtung haben sich die Lebensumstände seit dem Wirtschaftswunder vor 50, 60 Jahren so dramatisch verändert, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom olympischen Prinzip „schneller, höher, weiter“ unter Umständen einfach die Schnauze voll haben. Konnte der gute Facharbeiter in den sechziger, siebziger, achtziger Jahren als Alleinverdiener mit seiner vollen Arbeitskraft und der angewandten Sparsamkeit seiner Frau seine Familie erhalten, ein Haus bauen und seinen Kindern den Bildungsaufstieg ermöglichen, reicht heute oft nicht einmal die Finanzkraft eines DINK-Pärchens (double income, no kids), um sich eine Eigentumswohnung anzuschaffen. Dabei liegt zwischen der beschaulichen Rohrpost-Ära und dem durchdigitalisierten Zeitalter von E-Mail, Smartphone und MS-Teams auch noch ein enormer Produktivitäts- und damit Stresszuwachs für jeden Erwerbstätigen.

Nachbar in Not

Die universitär gebildete Jugend strandet trotz des viel beschworenen Fachkräftemangels oft als „Generation Praktikum“, und wer endlich einen vernünftigen Berufseinstieg findet, stellt ernüchtert fest, wie frappant – und für einen Einsatz mit voller Kraft durchaus demotivierend – der Unterschied zwischen Brutto und Netto ist. Daran ändert auch die Abschaffung der kalten Progression wenig, die man als politische Großtat feiern, aber auch als längst überfällige Reparatur eines stillen staatlichen Eigentumsvergehens sehen kann. Nun könnte man sich mit den hohen Steuern und Abgaben noch abfinden, wenn dafür alles wie geschmiert liefe; man blicke dazu beispielsweise in die Schweiz, wo die siebenköpfige Bundesregierung („Bundesrat“ aus derzeit vier Parteien) seit Jahrzehnten stabil und unaufgeregt ihren Job macht. Ihr österreichisches Pendant hat inklusive Staatssekretäre 18 Mitglieder (!), seit 2019 gab es fünf Bundesregierungen (Kurz I, Bierlein, Kurz II, Schallenberg, Nehammer). Das Amt des Bundespräsidenten wird in der Schweiz übrigens von einem der Bundesratsmitglieder für jeweils ein Jahr mit ausgeübt, Österreich leistet sich dafür einen eigenen, mit 355.000 Euro brutto Jahresgehalt dotierten Posten. Die Kosten für die notwendigen Präsidentschaftswahlen und den Amtsbetrieb sind hier nicht inkludiert. Wobei der Besuch von Alexander Van der Bellen samt Frau Präsidentin bei der Krönungszeremonie von King Charles III. in London zweifelsohne demokratiepolitisch unverzichtbar war. Kein Wunder, dass viele Schweizer Österreich wirtschaftlich und politisch mittlerweile für einen „Nachbarn in Not“ halten.

Seid verschlungen, Milliarden

Endgültig macht sich Frustration breit, wenn man sich das betrübliche Niveau des politischen Diskurses und die Qualität der öffentlichen Leistungen, etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich, betrachtet, die mit all den Steuer- und Abgabenmilliarden erzielt werden: Im einen Fall fehlen plötzlich tausende Lehrer („Pensionierungswelle“), weil man den regulären Pensionsantritt von Teilen des Lehrpersonals offenbar unmöglich vorhersehen konnte. Im anderen Fall können dringend benötigte und mit enormem Aufwand geschaffene Krankenhausbetten nicht belegt werden, weil es am medizinischen Personal mangelt. Wie viele weitere Milliarden hart erarbeiteten Steuergeldes im Moloch der öffentlichen Verwaltung sinnlos versickern, um am rechten Fleck zu fehlen, wagt man sich zudem kaum vorzustellen. Und ob es eines fernen Tages noch für die eigene Pension reichen wird? Diese Frage stellen sich viele junge Österreicherinnen und Österreicher mangels klarer Kommunikation durch die Bundesregierung kaum noch, was Motivation und Engagement im Berufsleben auch nicht dramatisch steigern dürfte.

Weigerung der Werktätigen

Ist es also womöglich gar nicht Bequemlichkeit, sondern schlichte Erschöpfung und Enttäuschung, die immer mehr Menschen zur Abkehr von tradierten Einstellungen und Haltungen zur Arbeit bewegt? Weigern sich eventuell immer mehr Werktätige, in die Hände zu spucken und das Bruttosozialprodukt zu steigern (was die Band Geier Sturzflug 1983 noch auf Platz 1 der Single-Charts brachte), weil sie den Eindruck haben, keinen fair share, keinen gerechten Anteil am Zugewinn zu bekommen? Wollen möglicherweise viele junge Frauen allen feministischen Selbstüberhöhungspredigten zum Trotz lieber ihre Kinder aufwachsen sehen, als beim Regalschlichten im Supermarkt ungefähr so viel dazuzuverdienen, wie die Kinderbetreuung und das nur wegen der Arbeit nötige zweite Auto kostet? Von der Frage der Erziehung, die damit immer stärker und mit fragwürdigem Erfolg an Kindergartenpädagoginnen und das Lehrpersonal der Schulen ausgelagert wird, ganz abgesehen.

Schluss mit Schluss

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“, schrieb Bertolt Brecht in seinem Werk „Der gute Mensch von Sezuan“. Das Bühnenstück ist deshalb umstritten, weil es keinen Schluss hat, nachdem alle beruhigt nachhause gehen können, ebenso wie dieser Kommentar. Brecht: „Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach, Sie selber dächten auf der Stelle nach.“

Grafik: karrierebibel.de

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