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Tragikomisch mutet die Panik an, mit der sich seit der Rückbesinnung der niederösterreichischen Landeshauptfrau auf “normal denkende Menschen“ ösische Medien- und Politikschaffende darin überschlagen, die Existenz von Normalität grundsätzlich zu leugnen: Mikl-Leitner hat einen wunden Punkt getroffen.

Komisch deshalb, weil das Gegacker im linken Hühnerstall der beste Beweis dafür ist, dass man sich ertappt fühlt: Seit Jahren ist den gesellschaftlichen Dekonstrukteuren keine Randerscheinung zu unerheblich, kein Einzelschicksal zu individuell, keine Befindlichkeit einer Minderheit zu minder, um unter dem Deckmantel der „Gerechtigkeit!“ nicht zum gesellschaftlichen Mainstream hochgejazzt zu werden. Anders gesagt: Den progressiven Eliten in Politik und Medien ist kein Schwanz zu kurz, um nicht heftig mit dem Hund zu wedeln.

Was ist normal?

Tragisch gleichzeitig, weil die Debatte die fortgeschrittene gesellschaftliche Orientierungslosigkeit aufzeigt, in die uns die mediale und politische Umerziehungspropaganda mittlerweile geführt hat. Fehlt das Sensorium für eben diese Normalität, treiben wir ohne Kompass in schwerer See. „Was ist bitte schon normal?“, fragte kürzlich ein Journalist der „Kleinen Zeitung“ im empörten Gestus, als wäre die Vorstellung eines gesellschaftlichen Gravitationszentrums per se schon absurd. Dem Manne und seinen besorgten Kolleginnen bzw. Kollegen kann geholfen werden, denn so schwierig ist das gar nicht: „Normen sind Verhaltens- und Handlungsregeln. Sie konkretisieren allgemein anerkannte Werte und gewährleisten damit das Funktionieren einer Gruppe (…) und sichern letztlich den Bestand einer Gesellschaft.“ Das stammt übrigens nicht aus einer Grundsatzerklärung der AfD, sondern aus einem Fachmagazin für Frühpädagogik (Kindergarten heute, herder.de).  

Das tut man nicht

Für alle, die normal für abnormal halten, lohnt sich die weitere Lektüre auf Kindergartenniveau: „ Werte und Normen haben eine Orientierungs- und Integrationsfunktion. Sie werden durch Sozialisationsinstanzen im Sozialisationsprozess vermittelt. Beide bieten Orientierung und Sicherheit bei Entscheidungsprozessen an und ordnen bestimmte Handlungsmuster bestimmten Situationen zu: ‚Das tut man/Das tut man nicht‘. Mit seiner Entscheidung bleibt ein Mensch in Übereinstimmung mit seiner Gruppe, Organisation und Gesellschaft oder positioniert sich außerhalb einer allgemein gültigen Ordnung.“

1,7 Prozent Homo-Ehen

Werfen wir also einen Blick in das angeblich unbekannte Wesen Normalität. So wäre es bis vor kurzem ganz normal gewesen, eine Ehe als Verbindung von Mann und Frau zu betrachten – eine heute geradezu reaktionär wirkende Auffassung. Was sagen die Fakten? Laut Statistik Austria wurden im vergangenen Jahr 46.415 Ehen standesamtlich geschlossen. 45.635 waren verschiedengeschlechtlich, 780 gleichgeschlechtlich; das sind 1,7 Prozent. Reichen 98,3 Prozent für das Prädikat „normal“?

„Traditionelle Familie“

Normal wäre wahrscheinlich auch die Vorstellung, dass Kinder bei ihren leiblichen Eltern leben. Und siehe da, es ist auch so: Nach einer deutschen INSA-Studie 2022 wachsen knapp zwei Drittel der minderjährigen Kinder (62 Prozent) laut der Befragung bei ihren miteinander verheirateten Eltern auf. „Die traditionelle Familie aus Vater, Mutter, Kind(ern) ist damit weiterhin das am häufigsten praktizierte Modell.“ Laut dem Österreichischen Institut für Familienforschung leben etwa 70 Prozent aller Kinder (bis 18) bei Ehepaaren oder eingetragenen Partnerschaften. Auch hier dürfte der Anteil gleichgeschlechtlicher Beziehungen gering sein, obwohl er in der Statistik nicht gesondert ausgewiesen wird. In Österreich gibt es etwa 2,5 Mio. Familienhaushalte, auch hier dürfte der absolut überwiegende Teil der Eltern verschiedenen Geschlechts, also „normal“ sein.

Das ist übrigens keineswegs ein Plädoyer dafür, andere Lebensformen, ihre Wünsche und Bedürfnisse gering(er) zu schätzen, sondern lediglich der Versuch einer Einordung auf der Suche nach der in Frage gestellten Normalität.

Lebensnormalität

Die kann man übrigens auch ohne statistisches Jahrbuch, dafür mit ein wenig Beobachtungsgabe in der eigenen Lebensrealität leicht finden. Die normalen Österreicherinnen und Österreicherinnen sind stolz auf ihre Heimat, wenn sie im Radio Rainhard Fendrichs Landeshymne „I am from Austria“ hören. Sie raunzen gerne, aber arbeiten recht viel, um sich und ihren Lieben die kleinen Freuden des Lebens leisten zu können. Sie träumen vom Eigenheim, das allerdings für die meisten finanziell immer weiter in die Ferne rückt. Sie bemühen sich um eine gute Ausbildung für ihre Kinder, damit auch sie einmal ein gutes Leben führen können. Sie finden es in Ordnung, ausländischen Flüchtlingen im Notfall zu helfen, aber haben keine Lust, sie jahre- oder lebenslang durchzufüttern; umso weniger jene, die sich weder benehmen noch an Gesetze halten können. Und sie sind umwelt- und klimabewusst, aber deshalb noch lange nicht bereit, ihren hart erarbeiteten Lebensstandard auf dem Altar grünlinker Verzichts- und Untergangspropheten zu opfern.

Das Jaulen der Ertappten

Und hier sind wir am Kern der Erregung angelangt. Das Jaulen der Linken in Politik und Medien über Mikl-Leitners demokratischen Zug zur Mitte ist so ohrenbetäubend („präfaschistoid“, verstieg sich Grünen-Chef Kogler), weil die Debatte um normal und abnormal ihren perfiden Plan aufdeckt: Durch Verwirrung, Verunsicherung und Verängstigung die Gesellschaft aufzubrechen, zu spalten, mit dem ideologischen Presslufthammer zu zertrümmern, was über Generationen gewachsen ist, und mit den Bruchstücken die eigene parteipolitische Machtposition auszubauen.

Alles normal?

Mikl-Leitners Rückbesinnung auf die „normal denkenden Menschen“ trifft die Sozialingenieure an einem wunden Punkt. Denn die Debatte gibt einen völlig unerwünschten Einblick in die Mechanismen, mit deren Hilfe die Gesellschaft unter planvoller Umgehung der schweigenden Mehrheit in eine neue Normalität transferiert werden soll, in der unter Ausblendung der wahren Größen- oder Gewichtsverhältnisse alles (gleich) normal ist: links ist normal (rechts ist böse), LGBTQ ist normal, behindert ist normal, gendern ist normal, Verarmen für das Klima ist normal, ungeregelte Zuwanderung ist normal. Hinein mit allem und allen in den großen, unterschiedslosen Einheitsbrei. Es reicht nicht, dass in unserer Gesellschaft im gesetzlichen Rahmen ohnehin jeder tun und lassen kann, was er will; nein, es muss auch noch „normal“ sein. Abnormal ist nur, wer widerspricht, denn der ist ein Spalter. Nicht ohne Grund erinnert diese Umdeutung der Realität an die Parteiparolen, die in George Orwells „1984“ am „Ministerium für Wahrheit“ prangen: Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!

Gedankenverbrechen

Der politisch nicht nur beim Gendern verordnete Neusprech beschäftigt mittlerweile sogar den – nicht vergessen: grünlinken – Bundespräsidenten, der allerdings das falsche Beispiel erwischte, als er die Eröffnung der Bregenzer Festspiele zu einer parteipolitischen Moralpredigt umfunktionierte: „War Mozart ‚normal’? Sicher nicht. Derart außergewöhnliche Begabungen sind nicht normal. Und sie denken auch nicht normal.“

Schnitzel für alle

Na schau, es gibt ihn also doch, den Unterschied zwischen normal und abnormal, quasi von höchster Stelle bestätigt. Schon nach einer mehrtägigen Schrecksekunde, in der sich einige Parteigranden österreichweit um das Thema wanden wie die Regenwürmer, dürfte sich nun langsam auch in der ÖVP herumgesprochen haben, welches Geschenk ihr Mikl-Leitner – ob bewusst oder zufällig – mit der Normalitätsdebatte gemacht hat: Sie erlaubt es der zuletzt einigermaßen gebeutelten ÖVP, den Markenkern (wertkonservativ, familien- und wirtschaftsorientiert) aufzupolieren und ihre Kernwählerschichten anzusprechen bzw. zurückzugewinnen. Auch wenn die Replik des Kanzlers auf die präsidentielle Schelte („Schnitzelessen muss noch erlaubt sein“) noch nicht ganz die richtige Flughöhe für das hohe Amt und das anspruchsvolle Thema hatte.

Aber das ist eigentlich auch ganz normal.

Bei Interesse: Hier geht es zu einem besonders anschaulichen Beispiel gesellschaftlicher Dekonstruktion in den Medien (Frankfurter Rundschau über das Gefängnis der Kleinfamilie). Weitere Versuche der Verwirrung, Verunsicherung und Verängstigung finden Sie unter dem Suchbegriff „Regretting Motherhood“ oder bei den Kritikern der Mutter-Kind-Bindung.

Abbildung: Protonormalistisches Normalfeld (Lingenauber 2003b, S. 69)

Ein Kommentar zu “Normal ist abnormal

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