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Das „Handelsblatt“ hat heute die Vermögensaufteilung in Deutschland analysiert. Unsere Nachbarn sind demnach wesentlich reicher, als es die Statistiken bisher vermuten ließen. Die vermögensärmere Hälfte der Bevölkerung ist allerdings seit Anfang der Neunziger deutlich zurückgefallen, dafür haben die Reichen von den stark gestiegenen Werten ihrer Unternehmensanteile profitiert. „Insgesamt verdoppelte die obere Hälfte inflationsbereinigt ihr Vermögen seit 1990. Bei der unteren Hälfte stagnierte es.“

Die zunehmende materielle Ungleichheit (hier am Beispiel D, aber das wird in anderen europäischen Ländern ähnlich sein) führt dazu, dass der gesellschaftspolitische Kernreaktor immer heißer wird. Er besteht grob aus drei Aggregaten:

  • den Enttäuschten, Abgehängten und Vergessenen, die erkennen, dass sie ihre Lebensträume begraben und sich ebenso professionell wie dauerhaft im Sozialsystem einrichten müssen. Diese Gruppe wächst seit Jahren durch schlecht oder gar nicht qualifizierte Zuwanderung. Ihre enormen gesellschaftlichen Kosten treffen vorwiegend den Mittelstand, weil die obersten Einkommensbezieher bessere steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten haben.
  • dem immer verzweifelter gegen den sozialen Abstieg kämpfenden Mittelstand, der vor den Trümmern des jahrzehntelangen Erfolgsrezepts von harter Arbeit und sparsamer Lebensführung steht und nicht mehr weiterweiß.
  • Die finanziell abgesicherte Oberschicht, deren Kapitalgewinne (und weitgehend unbesteuerte Erbschaften) beinahe automatisch zu noch mehr Reichtum führen. Dieser Effekt erklärt, weshalb teure Automarken und Yachtbauer ein bestes Wirtschaftsjahr ihrer Unternehmensgeschichte nach dem anderen schreiben.

KRISENGEWINNLER

Das dürfte auch ein Nebeneffekt der Coronakrise sein: Während der arbeitende Mittelstand in Kurzarbeit war, gar seinen Job verlor oder im „Homeoffice“ (wieder so ein peinlicher Nachäffungsbegriff, den es im Englischen gar nicht gibt) unter erschwerten Bedingungen vor sich hinarbeitete und sich die Abgehängten (siehe erhöhte Arbeitslosenunterstützung, um den Konsum anzukurbeln) noch etwas fester in die soziale Hängematte kuschelten, kamen (vor allem große) Unternehmen in den Genuss öffentlicher Förderungen, die sie zum Teil in Form von Dividenden an ihre Anteilseigner weiterreichten. Das ist eine klassische Privatisierung öffentlichen Eigentums, während die dramatischen Kosten sozialisiert und mittels Staatsschuldenausweitung künftigen Generationen umgehängt werden. Eine ernsthafte Debatte darüber hat nicht stattgefunden, nicht in den Medien, nicht in den Parteien.  

EUROPA BEBT

Die Folgen dieser von der Politik in den vergangenen Jahrzehnten durch Fahrlässigkeit oder mit Vorsatz herbeigeführten Ungleichentwicklung der Gesellschaft sind bereits eingetreten. Sie scheinen sich allerdings weniger in einem allgemeinen Rechts- oder Linksruck auszudrücken, sondern in einer Abkehr vom Bestehenden. In D wurde die CDU/CSU Opfer dieses Trends (neben vielen anderen schweren Eigenfehlern), in F verlor Präsident Macron bei den jüngsten Parlamentswahlen die Mehrheit. In I endete kürzlich die Ära Draghi, was allerdings eher mit dem dysfunktionalen politischen Systems Italiens (und vielleicht sogar der Beeinflussung durch Russland mit dem Ziel der Destabilisierung der EU und des Euro) zusammenhängen dürfte.

WEDER-NOCH-POLITIK

Heraus kommen politische Mesalliancen wie Rot-Grün-FDP in D oder das drohende Rot-Grün-Neos in Ö: Hier wächst unter dem Zwang zur Mehrheitsfindung zusammen, was nicht zusammengehört. Solche Koalitionen sind eine Missinterpretation des Wählerwillens. Das Entweder-Oder, das der Bürger gewählt hat, wird politisch in ein Sowohl-als-auch umgedeutet. Dieses vertrocknet jedoch unter dem Brennglas der Tagespolitik ganz schnell zu einem Weder-noch: Keiner der Partner kann sich durchsetzen, die kleinsten gemeinsamen Nenner erodieren Profil und Glaubwürdigkeit beider Parteien in ihrem jeweiligen Elektorat.

OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE

Die soziale Unzufriedenheit, die Skandale und Affären, aktuell beispielsweise die Berichte über die Multimillionen-Boni der Vorstände in den Multimilliarden scheffelnden Energiekonzernen, der sich mit jeder Zeitungslektüre erhärtende Verdacht, dass etwas faul ist im Staate, lassen die Temperatur im gesellschaftlichen Kernreaktor weiter steigen. Für Österreich schlägt sich diese Enttäuschung im größten Vertrauensverlust der neueren Politgeschichte nieder. Was niemanden besonders verwundern kann: Die Regierung scheitert seit März 2020 an einer nachvollziehbaren und österreichweit umgesetzten Pandemiestrategie, wurstelt im Ukraine-Krieg mit der sehr ösischen Interpretation von Neutralität und skurrilen Putin-Besuchen herum und bringt seit Februar kein vertrauenerweckendes Energiekonzept auf den Tisch für den Fall, dass uns im Winter das russische Gas ausgeht, dem wir uns in sträflichem Leichtsinn ausgeliefert haben. Anstatt die günstige Ostenergie zu nutzen, aber einen Plan B in der Schublade zu haben. Nicht zu vergessen die Opposition, die keine Gelegenheit auslässt, ohne Rücksicht auf (Glaubwürdigkeits- und Sympathie-)Verluste die verhasste Regierung zu diffamieren – koste es, was es wolle, und sei es den Staat selber.

HÖCHSTES AMT

Eine Begleiterscheinung für den Niedergang sind die Irrlichter, die aktuell rund um die Bundespräsidentschaftswahl aufflackern. Immerhin geht es um den mit rund 367.000 Euro brutto pro Jahr bestbezahlten öffentlichen Job der Republik, auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten und Eckhäuser vor dem deutschen Amtskollegen. Um dieses höchste Amt bewerben sich (neben dem respektablen, aber in die Jahre gekommen Alexander Van der Bellen) der Politkommentator und „Influencer“ Gerald Grosz, der „Bierpartei-Chef“ und Arzt Marco Pogo sowie der MFG-Obmann und Anwalt Michael Brunner. Dagegen ist der FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz geradezu ein Ausbund an politischer Seriosität.

Die ÖVP hat auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner ihre Unterstützung für „VdB“ per Twitter kundgetan. Wenn das nicht der nächste schwere politische Fehler war, der uns der Kernschmelze wieder ein Stück näherbringt.

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