Mit zunehmender Schlagseite schlingert das Schiff in schwerer See. Der frühere Käpt’n, bei der Mannschaft sehr beliebt, sitzt degradiert und demotiviert in der Kombüse und schält Kartoffeln. Und der neue, unerfahrene Kapitän streitet mit einem seiner Offiziere vor versammelter Mannschaft über die Rettungsmaßnahmen, während der lecke Kahn auf die tödlichen Klippen zutreibt. Schafft es der alte Schiffsführer, mit einigen Getreuen die Brücke noch einmal zu erobern, sich zusammen- und das Ruder herumzureißen?
Koalitionsbruch auf offener Bühne
Die Ösische Bundespolitik erinnert derzeit an einen Katastrophenfilm aus den Fünfzigern – nur dass die Darsteller damals glaubwürdiger waren. Man muss kein großer Politstratege, Managementprophet oder auch Straßenkehrer sein, um zu erkennen, dass dieser Weg nicht zur Goldenen Eichel (eine Anleihe bei Scratch aus „Ice Age“) führt. Nun handelt es sich bei Ministern – und vor dem überraschenden Revirement Schallenbergs zum Graf Bundeskanzler waren sie das auch beide – im Allgemeinen um durchaus kluge Köpfe, überdurchschnittlich engagiert und versiert entweder in Sachthemen oder in politischen Grabenkämpfen. Was also verleitet die beiden zu diesem Koalitionsbruch auf offener Bühne?
Annahme 1: Taktik
Der zur Kanzlerwürde wie die berühmte Jungfrau zum Kind gekommene Schallenberg, der sich in der Handhabung dieser Mutterschaft auch entsprechend tollpatschig anstellt, will sich vom Bobo-Arzt Mückstein, dessen bisher hervorragendstes Merkmal im Ministeramt sein altersungerechtes Auftreten mit Gelfrisur und Turnschuhen ist, um keinen Preis beim Pandemie(miss)management die Butter vom Brot nehmen lassen; auch nicht um jenen der persönlichen Reputation.
Annahme 2: Strategie
In der begründeten Annahme, dass diese Regierung nach der Palastrevolte der Grünen und dem damit erzwungenen Rücktritt des Kanzlers Kurz den Keim des Todes in sich trägt, versuchen sich beide Koalitionsgegner in eine aussichtsreiche Ausgangssituation für die bevorstehende Mutter aller Wahlschlachten zu manövrieren. Die Grünen bemühen sich, Verantwortungsbewusstsein zu signalisieren; die schwer unter Druck befindliche ÖVP will um keinen Preis zugeben, dass die bisher verfolgte Strategie vielleicht doch nicht die weltweit allerbeste gewesen und die Pandemie auch für die Geimpften noch nicht vorbei ist; auch nicht um jenen eines Restes von politischer Glaubwürdigkeit.
Annahme 3: Panik
Aber vielleicht sind alle diese Überlegungen weit übercoacht, auf gut österreichisch: an den Haaren herbeigezogen. Und die schnöde Wahrheit liegt viel eher darin, dass mit Kurz und seinen Intimissimi Fleischmann und Frischmann und einigen anderen Netzwerkkumpels schlicht die Intelligenzija aus dem Bundeskanzleramt ausgezogen ist. Zurückgeblieben ist ein treuer Diener der Republik, integer und loyal, aber heillos überfordert mit der Gemengelage als Pandemiebekämpfer, Oppositionszüchtiger, Koalitionspartnermediator und ÖVP-Dompteur. Schon als ihm die Oppositionelle Meinl-Reisinger provokant die 104-seitige Anordnung zur Hausdurchsuchung mit allen inkriminierten ÖVP-Chats übergab, schmiss er zuerst die aristokratischen Nerven und dann das Konvolut ganz undiplomatisch hinter sich auf den Boden des Parlaments. Nun versucht er vielleicht in zunehmender Panik, seine in Auflösung befindliche politische Welt zusammenzuhalten – wie das Säbelzahn-Eichhörnchen Scratch in „Ice Age“: bemüht, sympathisch, chancenlos. Dabei wäre der Mann eine Zierde seines Amtes als Botschafter in Berlin, Bilbao oder Banja Luka.
Der kleine Max
Welche Annahme nun gilt? Deutlich beruhigender wären eins und zwei: Sie würden eine bessere Chance bieten, dass die Streithanseln zur Besinnung kommen, dem Staatsdampfer auf Abwegen entschlossen gemeinsam ins Ruder greifen und es in ruhigere Gewässer steuern.
Ich tippe auf 3. Denn wie der kleine Max sich die Welt vorstellt, so ist sie – auch wenn ich nicht mehr weiß, bei wem ich dieses Zitat jetzt plagiiert habe.