In den Medien ist angesichts erschreckender Fotos am Rande von Geschmacklosigkeit, Voyeurismus und menschlicher Tabuzonen ein erbitterter Streit ausgebrochen: Darf man die Realität ungeschönt zeigen, oder hat ein Medium die Aufgabe, seine Leser vor allzu grausamen Abbildungen der Wirklichkeit zu schützen? Wir halten es mit einem Satz der großen Landestochter Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Sie sagte ihn schon 1959 bei einer Preisüberreichung in Deutschland, und er scheint ihr wichtig gewesen zu sein, ziert er doch auch ihr Grab in ihrer Heimatstadt.
In ihrem Sinne haben wir uns nach heftigen redaktionsinternen Diskussionen dazu entschlossen, dieses abstoßende Foto zu veröffentlichen. Es zeigt ein äußerst seltenes doppeltes Mahnmal: Der Nordkoreas würdige politische Größenwahn hat in Tateinheit mit beamteter Willfährigkeit den Steuerzahler bisher etwa 100 Millionen Euro gekostet – und ein Ende der Misere ist noch gar nicht absehbar.
Bei genauerer Analyse des epochal gescheiterten Großprojekts bestätigt sich die tiefe Wahrheit eines anderen Zitats, dessen Urheber allerdings nicht mehr feststellbar ist: Provinz ist keine Gegend, sondern eine Geisteshaltung. Weder die Umgebung des Stadions in Sichtweite des mondänen Wörthersees noch das elegante Bauwerk selbst verströmen provinziellen Mief. Der Umgang mit einem Vorhaben dieser Größenordnung durch die handelnden Personen in Politik und Verwaltung weist hingegen deutliche Anzeichen von tiefstem Provinzialismus auf: Politiker, die für drei Europameisterschaftsspiele ein Stadion mit 30.000 Sitzplätzen aus dem Boden stampfen wollten, und Beamte, die devot und fachlich schlampig jeden noch so geisteskranken Politikerwunsch in die juristische Tat umsetzten – koste es, was es wolle. Und es kostet, samt Sportpark etwa eine Million pro Jahr, nur die Erhaltung.
Nach langem Leiden sind nun der politische Wortbruch der „Permanentmachung“ der Oberränge und die windschiefe Beamtenkonstruktion der Errichtung und Bespielung des Stadions ohne Umweltverträglichkeitsprüfung nun einem Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes erlegen, der die Bewilligung für den Oberrang aufgehoben hat. Jetzt geht die Provinzposse munter weiter: Kaum hatte sich der Landeshauptmann zuversichtlich gezeigt, dass sich der nunmehr wieder zuständige Landesverwaltungsgerichtshof rasch der peinlichen Causa annehmen werde, reichte dieser die heiße Kartoffel an die Landeshauptstadt weiter. Die Bürgermeisterin ist entsetzt, das könnte eine „Phase der Rechtsunsicherheit von vier bis fünf Jahren“ bedeuten. Ganz sicher sind sich dafür andere: Großveranstalter wie Thomas Semmler („Master of Dirt“) sind schon abgesprungen, weitere Events für 2016 abgesagt.
Und so hat die Landeshauptstadt von Kakanig heute keine multifunktionale Arena für spannende Fußballspiele, coole Konzerte und attraktive Events, sondern einen glänzenden, weithin sichtbaren Tempel der Provinz.
Der Artikel ist erschienen im September 2015 in einer Beilage zu News.