Die Stunde der Wahrheit rückt unaufhaltsam näher: Am 31. Mai 2016 läuft das umstrittene Heta-Moratorium aus, danach werden wohl die Haftungen des Landes Kärnten schlagend. Zu den rund vier Milliarden „normalen“ Schulden kommen dann – je nach Verhandlungsergebnis mit den Gläubigern und dem Bund – weitere Milliarden hinzu. Nur tiefgreifende Reformen und, so meinen Experten, ein Schuldenschnitt könnten das Land langfristig aus der Schuldenfalle führen. Doch hektische Betriebsamkeit der Beamten, breit angelegte Strategieprozesse mit Beratern und Wirtschaftskapitänen oder endlose politische Klausuren auf der Suche nach der politisch verjuxten Zukunft sucht man im heißen Kärntner Sommer vergebens.
Kein Wunder: Kaum ein Lebensmittel, dem in Kärnten nicht ein eigenes Fest[1] gewidmet ist. Rindfleisch (Ossiacher Tauern), Fisch (Feld am See), Speck (Hemagor), Salami (Jauntal), Wild (Metnitztal), Backhendl (St. Georgen am Längsee), Reindling (Gnesau), Kartoffel (Karnische Region und Ludmannsdorf), Brot (Lesachtal), Glocknerlamm (Heiligenblut), Hadn (Jauntal), Nudel (Oberdrauburg), Pohača (Ferlach), Kraut (Gitschtal), Ritschert (Maria Saal), Apfel (Kirchbach), Fisolen (St. Margarethen im Rosental), Käse (Kötschach-Mauthen), Tschurtschl (Töplitz), Polenta (Nötsch), sogar Wein (Sittersdorf) und Gulasch (Feldkirchen) sind sommerliche Mittelpunkte regionaler Festlichkeiten. Dazu kommen noch ungezählte Feuerwehr-, Markt- und Erntedankfeste im ganzen Land, die vielhundertjährigen Wiesenmärkte in Bleiburg und St. Veit nicht zu vergessen. Nachdem zumindest die Eröffnung, oft auch die erfolgreiche Abführung derartiger Veranstaltungen ohne gut gelaunte Landespolitiker gänzlich unvorstellbar ist, müssen sich die Gläubiger Kärntens ein wenig gedulden: Im Kärntner Sommer, der bis tief in den September dauert, erfreuen sich Bevölkerung und Politik gleichermaßen an den festen und flüssigen Gaben der Natur und nehmen gern auch seelisch ein wenig Abstand von den Grauslichkeiten des Alltags. Vielleicht ist es auch die Freude darüber, dass die Sonne entgegen anderslautenden Meldungen offenbar doch nicht vom Himmel gefallen ist, im Gegenteil: Wie angenagelt hing sie im August am Firmament und heizte Touristen und Landwirten ein.
Apropos Grauslichkeiten: Seit der – verspäteten – Vorlage der Heta-Bilanz für 2014 ist das gesamte Ausmaß der Katastrophe ein wenig deutlicher geworden. „Die Neubewertung, der „Asset Quality Review“, hat jedenfalls ergeben, dass die Vermögenswerte der Heta lediglich 9,6 Milliarden Euro auf die Waage bringen, während die Schulden alles in allem 16,6 Milliarden Euro ausmachen. Somit klafft ein riesiges Finanzloch von sieben Milliarden Euro, das jetzt „amtlich“ ist“, schreibt die Wiener Zeitung am 18. Juni. Dafür haftet das Land Kärnten auf Grundlage von einstimmigen Regierungs- und Landtagsbeschlüssen aus dem Dezember 2003 und dem April 2004. Oh, ich habe das Herbstseefest (Klopeiner See), das Nockalmstraßenfest (zwischen Ebene Reichenau und Innerkrems) und das Coppla Kaša Fest (Bleiburg) übersehen.
Diese entschlossene Feierstimmung übertönen auch die lautesten Alarmsirenen nicht. 30 Klagen mit einem Volumen von mehr als drei Milliarden Euro liegen schon bei der Landesholding, für die daraufhin ein Reorganisationsverfahren eingeleitet wurde. Damit sollen in einem ersten Schritt potentielle Haftungsgläubiger ausfindig gemacht werden. Schon zuvor mussten das gesamte Kollegium der Landesregierung wochenlang wegen eines Kredites der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (Öbfa) über 343 Millionen Euro nach Wien pilgern, weil Kärnten nach einer mittlerweile zweimaligen Herabstufung durch die Ratingagentur Moody‘s auf B3 (hochspekulativ) mit negativem Ausblick am freien Kapitalmarkt kein Geld mehr bekommt. Diese Einstufung teilt Kärnten nun mit Ländern wie Zypern, Ägypten oder Pakistan.
Vielleicht haben sich Kärntens Politiker wenigstens den Bericht zur Wirtschaftslage Kärntens in den wohlverdienten Urlaub mitgenommen, den IHS-Chef Markus Bliem und Robert Klinglmair vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Alpen-Adria-Universität (AAU) Mitte Juli vorgelegt haben. Bei näherer Betrachtung sollte es allerdings einen Warnhinweis tragen: Zuviel Lektüre kann die Urlaubslaune gefährden.
Die 200 Seiten starke Studie bestätigt eindrucksvoll die Warnungen und Mahnungen des Wirtschaftsbundes in den vergangenen Jahren: Nach wie vor ist in Kärnten das Wachstum unter- und die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich ausgeprägt. Die insgesamt schwache Wirtschaftsentwicklung 2014 wird durch Rückgänge bei den öffentlichen Bauaufträgen weiter gebremst, der Wert der abgesetzten Produktion sank in Kärnten viermal stärker als im Bundesdurchschnitt. Der Handel stagnierte, gemessen an den Übernachtungen verzeichnete der Tourismus mit minus 3,3 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis aller Bundesländer. Diesen Rang nimmt Kärnten nach Wien auch bei der Arbeitslosenquote und bei der Kaufkraft ein. Beim Bruttoregionalprodukt liegt Kärnten vor Niederösterreich und dem Burgenland an drittletzter Stelle.
Ein zentraler Teil des Berichts widmet sich dem Kapitel „Arbeitsmarkt, Bildung und Demographie“: Kärnten leidet bei der Beschäftigung nach wie vor unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise, hat den höchsten Anteil an geringfügig Beschäftigten in ganz Österreich – und verliert Bevölkerung: Es sterben so viel mehr Kärntner, als geboren werden, dass die seit Jahren positive Migrationsbilanz nicht ausreicht, das Minus auszugleichen. Dazu kommt, dass vor allem junge Menschen Kärnten auf der Suche nach Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen verlassen.
So weit, so schlecht. Und ja, an dieser Stelle ist wohl wieder einmal anzumerken, dass Kärnten ein besonders schönes Bundesland ist. Spannend wird es im Punkt 8, bei den Schlussfolgerungen und Empfehlungen: „Unabhängig von den jüngsten Entwicklungen rund um die Abwicklung der Hypo Alpe Adria Bank bzw. die kurz- und mittelfristige Refinanzierung des Landes Kärnten muss ein strikter Budgetvollzug zur Einhaltung des anvisierten Konsolidierungspfades beschritten werden. Die unmittelbare Herausforderung besteht hierbei darin, trotz Konsolidierungsmaßnahmen die langfristigen Wachstumspotentiale des Landes nicht aus den Augen zu verlieren. Die Konsolidierung des Kärntner Landeshaushaltes muss primär durch eine Einschränkung und Rückführung der Kostendynamik in den großen Budgetbereichen des Landes erfolgen. Dadurch können weitreichende und nachhaltige Effekte erzielt werden, welche über einen mittelfristigen Zeitraum auch vermehrte finanzielle Spielräume für zukunftsorientierte Maßnahmen schaffen. Kürzungen bei produktiven staatlichen Investitionen, wie etwa Bildung, Forschung und Entwicklung oder der Förderung von Innovation und Internationalisierung sollten jedoch zwingend vermieden werden.“
Und das Team um Bliem schreibt weiter Klartext: „Das Land Kärnten muss sich – basierend auf einer umfassenden Aufgabenkritik – einem weitreichenden Programm von Strukturreformen unterziehen, welche mittel- und langfristig zu einer spürbaren Entlastung für den Landeshaushalt führen und Kärnten im Wettbewerb der Regionen ermöglichen, durch ein besonders kostengünstig erstelltes Leistungsangebot zu punkten. Im Zentrum der Bemühungen sollten grundsätzlich strukturelle Anpassungen und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung in der öffentlichen Leistungserbringung stehen, um Mehrgleisigkeiten und Überschneidungen abzustellen. Zudem sollten grundsätzlich die Notwendigkeit und der Umfang von öffentlichen Leistungen in Frage gestellt werden. Im Zentrum einer wirkungsorientierten Verwaltungsreform muss die kosteneffiziente Erreichung von politischen Zielen im Vordergrund stehen und in Anknüpfung daran kann eine kritische Analyse der Art und Weise der Leistungserstellung oder einer alternativen Leistungserbringung anschließen und es kann die Aufgaben- und Finanzierungsaufteilung zwischen den Gebietskörperschaften hinterfragt werden.“
Das Hauptaugenmerk der Politik muss sich laut dem Bliem-Team neben der verstärkung des Senza-Confini-Gedankens auf den Kärntner Zentralraum richten: Dieser sei mit 280.000 Einwohnern im Vergleich mit andern österreichischen oder benachbarten Ballungsräumen ohnehin schwach ausgeprägt, mit entsprechen eingeschränkter Ausstattung an hochwertigen Bildungseinrichtungen oder Infrastruktur. Auch dürfe eine Stärkung des Zentralraums nicht als Benachteiligung der peripheren Regionen betrachtet werden, sondern ziehe „zentrifugale Ausbreitungseffekte“ nach sich. Konkret: „Die Entwicklung des Kärntner Zentralraums sollte deshalb eine übergeordnete wirtschaftspolitische Bedeutung bekommen und könnte in organisatorischer Form (beispielsweise durch die Gründung einer Zentralraumkonferenz unter Mitwirkung aller relevanten Gemeinden) etabliert werden, um eine entsprechende Abstimmung und Entwicklung auf interkommunaler Ebene voranzutreiben.“
Die Wirtschaftsförderung müsse auf hohe Wachstumsdynamik abzielen und sich vor allem auf innovationsstarke Gründungen konzentrieren: „Zudem muss das Image des Unternehmers in der Gesellschaft verbessert werden und es sind generell Maßnahmen zu unterstützen, die zu einer Kostenreduktion für den Markteintritt führen. In diesem Zusammenhang sind die Förderprogramme des KWF, der Ausbau und die Ausrichtung des Lakeside Parks, eine stärkere Kooperation der Forschungseinrichtungen und die Vernetzung der Inkubatoren im Alpen-Adria-Raum hilfreiche Maßnahmen, um das Umfeld für Start-up Unternehmen in Kärnten weiter zu verbessern und vermehrt Gründer/innen aus anderen Regionen nach Kärnten zu bringen.“
Die Exportquote der Kärntner Wirtschaft entwickelt sich überdurchschnittlich gut, die Exportorientierung insgesamt ist aber ausbaufähig, rät das IHS: „Vor dem Hintergrund der relativ geringen Exportorientierung der Kärntner Wirtschaft könnte in der Erschließung neuer Absatzmärkte im Ausland eine erfolgversprechende Strategie zur Steigerung des Bruttoregionalprodukts in Kärnten liegen. Zwar konnten die Kärntner Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre Ausfuhren deutlich steigern, gleichwohl ist die Kärntner Wirtschaft, wie der Vergleich der Exportquoten zeigt, noch verhältnismäßig stark auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Eine Steigerung der Ausfuhren stellt in der gegenwärtigen Wirtschaftslage allerdings eine große Herausforderung dar, denn aufgrund der geografischen Lage ist die Kärntner Exportwirtschaft stärker als jene anderer Bundesländer auf Italien ausgerichtet, und dort erholt sich die Wirtschaftsleistung nur allmählich von der Wirtschaftskrise, sodass dort auch nur eine zögerliche Belebung der Inlandsnachfrage und damit der Importe zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Bedeutung der USA und einiger Volkswirtschaften in Asien als Absatzmarkt für Kärntner Waren positiv zu beurteilen, denn dort entwickelt sich die Konjunktur sehr robust.“
Zum Abschluss legen die Studienautoren der Landesregierung den Ball auf den Elfmeterpunkt und schicken den Tormann hinaus: „Die Aufarbeitung des Hypo-Alpe Adria-Skandals und die Probleme um die Abwicklung der HETA und die Haftungsverpflichtungen des Landes haben Kärnten einen schwerwiegenden Imageschaden zugefügt, der sich auch auf die Wahrnehmung des Wirtschaftsstandorts auswirkt. Abgesehen von den Haftungsverpflichtungen, die die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes weit übersteigen und für die eine Lösung nur über Zugeständnisse der Gläubiger der HETA und in Kooperation des Landes mit der Finanzmarktaufsicht und dem Bund gefunden werden kann, sollte das Land aus dieser misslichen Situation heraus den Versuch eines ‚Neustarts‘ nach der Skandal-Ära der vergangenen Jahre unternehmen und überzeugend kommunizieren. Ein erfolgreicher Neustart des Landes setzt offensichtlich ein umfassendes Reformkonzept voraus, das strukturverbessernde Maßnahmen in vielen Bereichen umfasst und idealerweise das Leitbild eines künftigen Kärnten vorgibt. … Ziel muss es sein, das Bild eines modernen, zukunftsorientierten Kärnten zu schaffen, wo es lohnt zu investieren und wo qualifizierte, innovative Köpfe zu- und nicht abwandern, weil das Land viele Chancen bietet.“
Jede Reise, und sei sie noch so weit, beginnt mit dem ersten Schritt, sagt eine chinesische Weisheit. Insofern hat sich Kärnten auf den Weg gemacht, wie sogar ein jüngster Bericht des Bundesrechnungshofes anerkennend bemerkt: Die Empfehlungen zur Konsolidierung des Landes, die der Rechnungshof 2012 ausgesprochen hatte, seien umgesetzt oder beginnen worden. Doch selbst LH Peter Kaiser gibt zu, dass noch viel zu tun sei.
Also an die Arbeit. Das Ganslfest am Längsee ist erst im November.
[1] Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit
Dieser Artikel ist erschienen im Wirtschaftsmagazin M.U.T., Ausgabe 3.2015
