Auch in Ösien, auf der alpinen Insel der Seligen – oder muss man in der hiesigen jahreszeitlichen Abfolge von Garteln, Baden, Saunieren und Schifahren besser selige Insel der Alpinen sagen? -, hat das Massaker in der Redaktion der bis dahin hierzulande völlig unbekannten Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ einen veritablen Schock ausgelöst. Dieser saß so tief, dass es der beinah vollzählig versammelten ösischen Politprominenz auch vier Tage später bei den Trauerfeierlichkeiten auf dem Heldenplatz noch immer die Sprache verschlagen hatte: Die Burgschauspieler Elisabeth Orth und Peter Matic verlasen an deren Stelle eine gemeinsame Erklärung der Bundesregierung. Man könnte diesen Auftrittsverzicht als einen in dieser Branche seltenen Anflug nobler Zurückhaltung interpretieren; als die Delegierung einer lästigen Pflicht kritisieren; oder es als einen Akt der Selbsterkenntnis betrachten, diese Aufgabe Profis zu überlassen.
„Die österreichische Bundesregierung verneigt sich in Trauer vor den Toten der Terrorakte in Frankreich“, sprachen also Mitglieder des Burgtheaters statt Mitglieder der Bundesregierung, und diese Verneigung fand just zeitgleich mit den Trauerfeierlichkeiten in Paris statt. Solcherart ersparten sich die Spitzen der ösischen Politik gleichzeitig die Reise unter den erschütterten Triumphbogen und die Hollywood-Szenen, bei denen die politischen Führer der westlichen Welt und noch ein paar andere in einer gesperrten und schwer bewachten Seitenstraße die Spitze des Trauermarsches kameragerecht mimten. Die Wiener Burgschauspieler müssen vor Neid erblasst sein – sie durften nur lesen an Kanzlers statt.
Immerhin hatten sich auch auf dem Wiener Heldenplatz laut Polizeiangaben 12.000 Menschen versammelt, um ihrer Ablehnung des Attentats Ausdruck zu verleihen. Sehr viele von ihnen trugen schwarze Schilder mit der Aufschrift „Je suis Charlie“, auf ösisch etwa „Ich bin Karli“. Das erinnert an den legendären Schauspieler Helmut Qualtinger, der in seiner Rolle als „Herr Karl“ ein bleibendes Bild des amorphen ösischen Charakters jener Zeit geschaffen hat. Der wendige, duckmäuserische, bis zur Widerwärtigkeit anpassungsfähige Opportunist, der seine kalte Skrupellosigkeit hinter einer Maske der Gemütlichkeit verbirgt, wirkt wie ein – nicht nur im Film – schwarzweißes Gegenstück zu den mutigen, charakterfesten Gesellschaftskritikern des Satiremagazins.
Ob alle 12.000 Trauernden auch dort gestanden wären, wenn sie nicht nur die Mohammed-Karikaturen des Magazins gekannt hätten, sondern auch Gottvater, Sohn und Heiligen Geist „beim analen Rudelbums“, wie Michael Klonovsky im „Focus“ in einem Kommentar mit der Überschrift „Meinungsfreiheitsgebrauch“ schreibt? Was unter dem Titel Satire von den Redakteuren und Zeichnern von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, war oft auch für Nicht-Muslime schwer zu ertragen. Aber Karli zieht in solchen Fällen schlimmstenfalls vor Gericht und nicht in den Dschihad.
Dieser Artikel ist erschienen in einer Beilage zu News und Profil