Das neue Jahrtausend erlebt die Welt als Krisenherd. In Nordafrika glühen noch die Trümmer des arabischen Frühlings, der längst in einen andauernden Herbst übergegangen ist: Staatsoberhäupter wurden gestürzt oder getötet, Massenproteste verwüsteten ganze Landesteile, Revolutionen fegten die alte, verhasste Ordnung hinweg, ohne eine neue zu schaffen. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo wurde der Tahrir-Platz Symbol der Zerrissenheit eines Volkes. In Syrien tobt nach wie vor ein menschenzerfetzender Bürgerkrieg, und wenn er in Europa im Moment nicht mehr so präsent ist, dann nicht, weil sich die Situation beruhigt hätte; wir haben uns nur sattgesehen an den Bildern von Tod und Zerstörung. Im Gaza-Streifen geht das beinahe rituelle gegenseitige Morden weiter, auch in der Ukraine sterben Zivilisten im Granathagel. Das Nachrichtenmagazin profil brachte kürzlich zwei Doppelseiten mit jenen Kriegsfotos, die mit Rücksicht auf die Leser im Rest der Welt nicht veröffentlicht werden – ungeschnitten, man musste die Seiten auftrennen, um sich ein tatsächliches Bild des Grauens machen zu können. Der erschütterte Vater, der sein staubbedecktes, totes Baby auf Händen trägt, rührt zu Tränen.

Der Kürassier, drei Jahrzehnte lang Symbol des wehrhaften Österreich, hat schon vor zwei Jahren ausgedient. Jetzt ist der Rest dran.
Ösien antwortet auf diese militärische und terroristische Radikalisierung der Welt mit der landestypischen überlegten Entschlossenheit – und rüstet ab. Um diese möglicherweise diskutierbare friedensunterstützende Maßnahme um keinen Preis als solche darzustellen, wird das Bundesheer, seit Jahrzehnten Stiefkind jeder Regierung und Missbrauchsopfer jedes Verteidigungsministers seit Robert Lichal, nicht publikumswirksam unter Freilassung tausender Friedenstauben generalstabsmäßig abgewickelt, sondern scheibchenweise zu Tode gespart. Und das, nachdem die ÖVP in einer großangelegten Volksbefragung Anfang vergangenen Jahres mit lautstarker Begeisterung obsiegt, die umstrittene Wehrpflicht mit fast 60 Prozent Zustimmung gerettet und vollmundige Versprechungen für die blühende Zukunft unserer Wehrhaftigkeit abgegeben hat.
Heute, eineinhalb Jahre später, ist der Jubel verhallt. Auch wenn der Wehrdienst für junge Männer kein Kindergeburtstag sein und auch der geistigen sowie körperlichen Ertüchtigung dienen soll, ist die bauliche und sanitäre Situation in vielen Kasernen völlig unzumutbar. In der US-Armee dürften Duschen und Toiletten im Kriegseinsatz in besserem Zustand sein als bei uns im tiefsten Frieden. Aber noch viel desaströser ist der Zustand der militärischen Ausbildung und Ausrüstung: Das Bundesheer kann sich die Munition für die Schießübungen der Grundwehrdiener nicht mehr leisten, auch nicht das Benzin, um die angehenden Soldaten zu Übungen zu fahren, weshalb man auch die ohnehin in den vergangenen Jahren schon spärlichen Truppenübungen weiter reduziert hat. Außerdem wird die Infanterie künftig vor allem abseits von Bundesstraßen zu Fuß zum Einsatzort wandern: Fast 800 Pinzgauer, das legendär geländegängige Standardtransportmittel abseits befestigter Wege, hat das Bundesheer ausgemustert. Im Krisenfall kann man ja mit dem privaten Pkw in den Einsatz fahren, auch wenn der gar nicht der Abwehr böser Buben, sondern der Bekämpfung von Hochwasser, Lawinen und anderen Naturkatastrophen gilt.
Mittlerweile dürfte das Bundesheer zu Verteidigung einer wehrhaften Demokratie, worin auch sein verfassungsgemäßer Existenzgrund besteht, kaum mehr in der Lage sein – auch wenn das von den oberen Soldatenbeamten im Ministerium bestritten wird. Mittlerweile muss aufgrund des Sparkurses sogar die Luftraumüberwachung eingeschränkt werden: Die Einsatzbereitschaft sinkt im Schnitt von zwölf auf elf Stunden täglich. Den größeren Teil des Tages sind also die heimischen Luftstreitkräfte, die mit Abstand teuerste und modernste Waffe Österreichs, gar nicht einsatzbereit.
Während diese praktisch – außer im Ernstfall – unmerkliche Einsparung nur geringe bürgerliche Immunreaktionen ausgelöst hat, gehen bei einer anderen Absage die Wogen der Empörung hoch: Öffentliche Angelobungen auf dem Hauptplatz, ganzer Stolz von Bürgermeistern und Soldateneltern, werden in Zukunft nicht mehr stattfinden, sondern in den jeweiligen Kasernen und damit hinter weitgehend verschlossenen Toren abgehalten. Der Grund: Das Bundesheer hat für den Transport der Rekruten zur jeweiligen Feierlichkeit keine Transportmittel mehr und auch kein Geld, um andere anzumieten. Das hat nun sogar den Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl auf den Plan gerufen: „Für mich ist das Ganze mittlerweile schon wirklich peinlich geworden.“ Zumal es an Europas Grenzen so viele Brandherde gebe, würden sich die die Menschen ein gut ausgebildetes und trainiertes Bundesheer wünschen. „Aber wir schaffen es de facto jeden Tag ab, und mir tut das wirklich weh, und deshalb melde ich mich auch zu Wort und hoffe, dass bald einmal alle, vor allem Verteidigungsminister Gerald Klug, beginnt, für sein Ressort zu kämpfen“, ärgerte sich Nagl.
Aber der Herr Minister dürfte letztlich ebenso ehrlos, pardon: wehrlos sein wie der oberste Befehlshaber des Bundesheeres, der Herr Bundespräsident, der die Demontage der ösischen Landesverteidigung schweigend geschehen lässt. Geht diese Form der Verteidigungspolitik weiter, wird bald eines der ältesten Soldatenlieder eine neue Bedeutung bekommen: Ich hatt‘ einen Kameraden…