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Konsumsucht, Zukunftsangst, schlechte Betreuung? Obwohl Österreich angeblich zu den reichsten Ländern der Welt gehört, wollen immer weniger Paare ihren Wohlstand mit Kindern teilen. Die Folgen für die Gesellschaft sind dramatisch: Überalterung, mehr Singles und Kinderlose, mehr Kranke, Behinderte und Zuwanderer. Dabei gibt es gute Vorbilder, wie man seinen Bürgern mehr Lust auf  Kinder macht.

2,1. Diese Zahl an Kindern pro Paar – man nennt sie Bestandserhaltungsniveau – wäre nötig, damit eine Generation zur Gänze von der nachfolgenden ersetzt werden kann. Blickt man in die europäischen Geburtenstatistiken, fällt einem unweigerlich die Aussage des Theologen Paul Zulehner ein: „Wir haben uns entschlossen, auszusterben.“ Mit einer Fruchtbarkeitsrate von 1,42 Kindern pro Frau liegt Österreich im Schlussdrittel; vor Deutschland mit 1,36; unter dem Durchschnitt der Eurozone von 1,55; und weit hinter den Spitzenreitern wie Irland (2,05), Island (2,02), Frankreich (2,01) oder Schweden (1,90).

Eine Gesellschaft, die aus Bequemlichkeit auf Kinder verzichtet, hat sich aufgegeben.

Eine Gesellschaft, die aus Bequemlichkeit auf Kinder verzichtet, hat sich aufgegeben.

Was bedeutet dieser Zahlenfriedhof für Kärnten? Nichts Gutes, soviel steht fest. Das Österreichische Institut für Familienforschung rechnet in seiner Studie zum Wandel der Bevölkerungsstruktur vor, dass die Einwohnerzahl von 557.000 Menschen im Jahr 2005 bis 2075 auf 420.000 Personen sinken wird, die Geburten im gleichen Zeitraum gar von 4600 auf 2900. Das ist der demographische Echoeffekt: Mit jeder kleiner werdenden Folgegeneration sinkt die Zahl potentieller Mütter weiter – das „Aussterben“ beschleunigt sich.

Während also beispielsweise die Bevölkerung der USA deutlich wächst, schrumpft Europa. Allerdings nicht gleichmäßig, sondern mit enormen Unterschieden: Der Norden, Großbritannien und Frankreich stellen sich gegen den Trend, aber der Mittelmeerraum reißt den Kontinent in den statistischen Abgrund: Griechenland kann gerade noch mit Österreich mithalten (1,42), den Italienern (1,40), Spaniern und Deutschen (beide 1,36) oder Portugiesen (1,35) ist das Kinderkriegen nicht erst seit der Wirtschaftskrise vergangen. Schlusslichter sind Rumänien (1,25) und Ungarn (1,23).

Grund genug, über den Tellerrand zu blicken und sich die Rezepte jener anzuschauen, die zur Sicherung des eigenen Fortbestands nicht zu feig oder zu faul sind. Zum Beispiel in Frankreich, wo schon seit dem Zweiten Weltkrieg viel Geld in die Familienpolitik investiert wird – allerdings nicht schwerpunktmäßig in Form finanzieller Zuschüsse wie in Österreich, sondern ergänzt durch ein engmaschiges Netzwerk an Betreuungseinrichtungen unterschiedlichster Trägerorganisationen bis hin zum Kindergarten schulischen Charakters, den ècoles maternelles. Beinahe alle Drei- bis Sechsjährigen besuchen diese kostenlosen Vorschulen, die zu Schulzeiten – und oft an Schulen angegliedert – acht Stunden pro Tag geöffnet sind. Für kleinere Kinder spielen Tagesmütter und Familienkrippen eine starke, für die meist berufstätige Mutter entlastende Rolle.

Der französische Staat sieht den Kindersegen schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts quasi als erste Bürgerpflicht: Bereits 1964, ein Jahr nach Abschluss des Elysée-Vertrags, der eine mehrhundertjährige kriegerische Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich beendete und ein Fundament des Friedens in Europa legte, berichtete der Spiegel – noch in zackiger Nachkriegssprache – über das nationalistische Element französischer Familienpolitik: „Nicht auf die Zahl der gewonnenen Scharmützel – auf den Endsieg kommt es an. Der General (Charles de Gaulle, Anm.) rechnet mit weiterer Steigerung der Geburtenquote.“

Er sollte Recht behalten. Die Maßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg begannen zu greifen, in den siebziger Jahren wurde das Land von einem regelrechten Baby-Boom erfasst, der bis heute anhält. 2011 zählte Frankreich 827.900 Geburten, in Deutschland waren es 662.700 – obwohl es um 15 Millionen mehr Einwohner hat. Das Loblied der Franzosen dürfte ein wenig verfälscht sein, weil die hohe Fruchtbarkeit der zahlreichen Einwanderer die Statistik verzerre, meinen Skeptiker. Immerhin würde die Fertilität bei Zuzüglern aus der Türkei bei 3,21 liegen, bei jenen aus Afrika sogar bei über 4.

Eine weitere französische Spezialität ist, dass 80 Prozent der Mütter berufstätig sind, in Deutschland beispielsweise nur 60 Prozent. Das lebendige Wachstum „á la française“ liegt aber nicht nur an stattlichen staatlichen Transfers, sondern an der Grundeinstellung: Zwei oder mehr Kinder werden nicht nur als persönlicher Glücksfall für eine Familie angesehen, sondern auch als wirtschaftlicher Gewinn und Wachstumsimpuls für den Staat. Die Entscheidung dazu fällt in Frankreich offenbar leichter, weil die hierzulande gebetsmühlenartig erhobene Forderung nach der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf dort längst Lebensrealität ist. Das ist auch in Schweden so, wo jedes Kind ab einem Jahr das Recht auf einen – dank massiven Ausbaus auch vorhandenen – Krippenplatz hat. Das führt sogar dazu, dass der Kinderwunsch der Skandinavierinnen und Französinnen mit zunehmender Bildung und beruflichem Status steigt – nicht wie bei uns, wo ein akademischer Titel und ein guter Job die Chancen auf einen realisierten Kinderwunsch dramatisch schwinden lassen.

Was hält die Paare in Österreich konkret davon ab, mehr Kinder zu bekommen? Die Wissenschaft hat mittlerweile viele Antworten auf diese Fragen gefunden: Das Rollenverständnis der Frau hat sich dramatisch verändert, parallel dazu ihre Erwerbsbeteiligung deutlich erhöht. Kinder stehen damit oft nicht nur den Karrierezielen, sondern auch der Vorstellung von Wohlstand und individueller Lebensgestaltung im Weg. Bis man mit sich selbst im Reinen und beruflich angekommen ist, kann es aber für Kinder – ob aus biologischen oder rein persönlichen Gründen – schon zu spät sein. Auch die Gesellschaft – zumindest in jenen Ländern mit niedrigen Geburtenraten – zeigt wenig Toleranz für Kinder, Eltern erleben daher kaum Anerkennung und Unterstützung. Im Gegenteil: Gewollte Kinderlosigkeit wird akzeptiert; sozialen Druck, Kinder zu haben, gibt es nicht mehr, und die urlaubsgebräunten DINKs (double income, no kids) mit dem flotten Sportwagen lachen müde Eltern im klapprigen Family-Van nicht nur bei der Steuererklärung aus.

In den Medien ist das Wehklagen über das Aussterben des Kinderlachens laut. „Ich liebe mein Kind. Ich hasse mein Leben.“ heißt ein Roman der feministischen Autorin Stefanie Lohaus, die ungewohnt klare Worte findet: Kinder machen unglücklich, das gelte für Männer wie für Frauen, auch wenn einem das vorher niemand sage. Antonia Baum schrieb kürzlich in der FAZ, alles, was sie über das Kinderhaben höre und lese, sei so furchteinflößend, dass sie manchmal denke: „Man muss ja total wahnsinnig sein, auf die Idee zu kommen, wirklich ein Kind zu kriegen. Mir ist das zu gefährlich, ich traue mich das einfach nicht. Warum sich diese Katastrophe ins Haus holen?“  Ihr Kollege Stefan Schulz antwortete: „Ihr wollt Kinder? Kriegt sie doch!“ und verwies das allerorten vernehmbare Gejammer ins Reich der Absurditäten. Ein Geschirrspüler und ein Wäschetrockner wären sinnvolle und für beinahe jede Einkommensklasse leistbare Investitionen in einen funktionierenden Alltag, der Rest sei trotz Optimierungsgesellschaft und Kapitalismus, wie er immer war: „Das Leben mit Kindern ist anstrengender. Aber es war nie so leicht wie heute. Man darf sich nur nicht in die Irre führen lassen.“

Die Amerikaner dürften Herrn Schulz und seinen praktischen, selbstständigen Zugang zum Thema Kinder mögen. Mit 2,06 Kindern pro Frau steht gods own country sogar noch vor den gebärfreudigen Iren und Isländern an der Spitze der Statistik. Das ist deshalb spannend, weil es in den USA kein Kindergeld, keine Elternzeit und keinen geförderten Kitaplatz gibt. Kinder sind Privatsache, und zwar schon vor der Geburt. Selbst Amerikanerinnen, die krankenversichert sind, müssen einen Teil der Schwangerschaftsvorsorge selbst zahlen. Und auch nach der Geburt müssen Mamas für sich und ihren Nachwuchs selber sorgen: Bis heute sind die USA das einzige Industrieland, in dem es keinen gesetzlich garantierten, bezahlten Mutterschutz gibt. Wer in größeren Firmen arbeitet, bekommt maximal zwölf Wochen Mutterschaftsurlaub – unbezahlt.

Im Vergleich dazu ist Österreich ein Familienförderungsparadies. Genau weiß man es aber leider nicht, weil die unterschiedlichen Fördermodelle auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene und ihr Zusammenwirken niemand so genau durchblickt und die dafür gedachte Transparenzdatenbank bald nach ihrer vollmundigen Ankündigung von der Politik still und heimlich entsorgt wurde. Das führt dann zu Absurditäten, wie sie 2010 das „profil“ aufdeckte: Das Institut für Höhere Studien hatte in seiner Analyse der „Verteilungs- und Anreizwirkungen des österreichischen Steuer-Transfer-Systems“ herausgefunden, dass ein  fiktives Paar im untersten Einkommensbereich mit zwei kleinen Kindern ohne Arbeit und nur mit Sozialtransfers auf ein Jahreseinkommen von 27.408 Euro käme. Ginge einer der beiden Elternteile arbeiten, würde sich das Einkommen im Jahr nur um 893 Euro erhöhen. Würden beide Vollzeit arbeiten, würden sie um jährlich 5975 Euro mehr verdienen. Zu ähnlich verwunderlichen Resultaten kommt Joanneum Research, deren Experten mehr als 13.000 Fallbeispiele aus Wien vom Single bis zum Mehrkinderhaushalt und vom Arbeits­losen bis zum Großverdiener durchgerechnet haben. Für eine Familie mit drei kleinen Kindern wäre es demnach „zwischen einem Bruttoerwerbseinkommen von 600 und 2250 Euro nicht möglich, das verfügbare Einkommen durch Steigerung der Erwerbstätigkeit selbst positiv zu beeinflussen“. Was man mehr erarbeitet, streicht der Staat bei den Sozialtransfers. Leistung? Egal.

So hängen die österreichischen Familien also eher hilflos am Tropf von Vater Staat, dessen erzieherische Kompetenz und Eignung als Familienerhalter  schwer bezweifelt werden müssen, wie man an einem aktuellen Beispiel sieht: Die lächerliche, nach Jahrzehnten fehlender Inflationsanpassung einer Verhöhnung gleichkommende Erhöhung der Familienbeihilfe um vier Prozent (!) wird von der erhöhten motorbezogenen Versicherungssteuer der oben schon angeführten biederen Familienkutsche sofort wieder weggefressen. Da bei leiden die Familien nicht nur unter einer zu hohen steuerlichen Belastung, die den Verzicht auf Kinder belohnt, sondern auch unter mangelhafter Infrastruktur: In Österreich fehlen rund 50.000 Kinderbetreuungsplätze, weshalb viele junge Mütter zuhause bleiben müssen – oder gleich ganz auf Mutterfreuden verzichten.

Doch genau das kann sich Österreich nicht leisten. Denn auf dem Spiel stehen nicht weniger als unser von Landschaften und Nachbarschaften geprägtes Land und unser besonderes österreichisches Lebensgefühl. Wenn die Kinderlein nicht bald kommen und der „Endsieg“ (siehe Spiegel) einen Migrationshintergrund hat, werden wir das schon in ein paar Jahrzehnten nicht mehr wiedererkennen.

Dieser Artikel ist erschienen in der Märzausgabe des Wirtschaftsmagazins M.U.T.

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