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Vor mehr als einem Jahr, im September 2011, setzten die Sozialpartner gemeinsam einen Notruf ab: Schon 2030, in demografischen Größenordnungen übermorgen, würden aufgrund von Abwanderung und Überalterung rund 40.000 Erwerbstätige in Kärnten fehlen; der Wohlstand sei in Gefahr. Die Politik war betroffen, gelobte Besserung und tat – nichts.

die ganze Story mit den Statements der Heimkehrer finden Sie in der aktuellen  Ausgabe des Magazins M.U.T.

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Zur Erinnerung: Wie eine schleichend fortschreitende Krankheit setzt der demografische Wandel dem Land zu. Die Bevölkerung altert, die Regionen verlieren ihre Bewohner an den Zentralraum, junge Hoffnungsträger verlassen Kärnten. Laut einer IHS-Studie aus dem Mai 2011 werden der Kärntner Wirtschaft von heute weg in nur 17 Jahren etwa 30.000 Fachkräfte und weit über 10.000 Uni- und FH-Absolventen weniger zur Verfügung stehen als heute. IV-Präsident Christoph Kulterer verdeutlicht die Größenordnung des Problems: „40.000 Menschen – so viele arbeiten derzeit in der gesamten Sachgüterproduktion des Bundeslandes.“

Dieser Trend ist nicht Zukunftsmusik in Moll, sondern bereits traurige Realität. Bezirke wie Hermagor, Wolfsberg, St. Veit/Glan, Spittal/Drau und Völkermarkt haben in den vergangenen Jahren fünf Prozent ihrer Bevölkerung verloren – und dieser Effekt wird sich verstärken. Landwirtschaftskammerpräsident Johann Mößler warnt: „Ein Mindestmaß an dörflicher Infrastruktur muss erhalten bleiben, sonst wird uns die Landflucht noch viel stärker begegnen.“ Derzeit wird das südlichste Bundesland statistisch um acht Kärntnerinnen und Kärntner pro Tag ärmer: Die Sterberate liegt über der Geburtenrate, die Abwanderung über der Zuwanderung.

Die Antwort der Politik auf die Katastrophe in Zeitlupe war der größere Bruder des Arbeitskreises, ein Masterplan. Die Sozialpartner schlagen darin eine Reihe kluger Maßnahmen vor: Die Erwerbsbeteiligung der Älteren muss gesteigert, die Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt erhöht, die Zahl der Schulabbrecher gesenkt und die Zuwanderung hochqualifizierter Migranten stimuliert werden. Dieses Paket legte die versammelte Sozialpartnerschaft im Juni 2013 der Landesregierung vor. Die war professionell erfreut, bis heute ist kein einziger der Handlungsvorschläge umgesetzt. Die nächste gemeinsame Regierungssitzung Anfang Dezember sollte dazu dienen, „Prioritäten zu setzen“, hieß es.

Während die Kärntner Politik also im Halbjahresabstand zwei Stunden freundliches Plaudern und eine anschließende schulterklopfende Pressekonferenz in eines der wichtigsten Zukunftsthemen überhaupt investiert, haben einige deutsche Bundesländer und Regionen im ehemaligen Osten diese Hausaufgaben längst erledigt: Sie kämpfen um jene, die ihre Heimat  nach der Ostöffnung auf der Suche nach dem Glück im vermeintlich goldenen Westen verlassen haben und nun – sei es aus Heimweh, aus Enttäuschung, wegen geänderter Lebensvorstellungen oder mit einer innovativen Geschäftsidee samt Startkapital im Gepäck – über eine Rückkehr nachdenken.

Zum Beispiel Brandenburg, das mit seinem Fachkräfteportal aktiv um Heimkehrer und Zuzügler wirbt. Die Möglichkeiten am Arbeitsmarkt werden hier ebenso angepriesen wie die Vorzüge für Familien, und um dem Angebot die nötige Ernsthaftigkeit zu verleihen, finden sich auf der Website unzählige Hinweise auf Existenzgründungs- und Förderprogramme, Jobbörsen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Studienmöglichkeiten sowie Initiativen und Vereine, die potentiellen Rückkehrern und anderen Zuzugswilligen den Gedanken schmackhaft und die Durchführung einfach machen wollen. Die Palette der Plattform reicht von der „Heimkehrerbörse der Stadt Wittstock/Bosse“ über das Landesprogramm „Einstiegszeit“ bis zur „Willkommens-Agentur Uckermark“.

Noch unverhohlener werfen die  Nachbarn im Süden ihre Netze aus: „Sachse komm zurück“ nennt sich die Initiative und auch das dazugehörige Webportal, das nicht nur Jobs anbietet, sondern auch Informationen übers Wohnen, Kindertagesstätten und die medizinische Betreuung. Auf der anderen Seite Brandenburgs, an der Ostsee, hat Mecklenburg-Vorpommern die Rückholaktion zur Chefsache erklärt und preist seine Vorzüge direkt auf dem Landesportal an: „Mehr als 350.000 Menschen haben seit 1991 das Land zwischen Elbe und Ostsee verlassen, darunter zahlreiche junge Fach- und Führungskräfte. Doch viele der Abwanderer wären lieber geblieben oder kämen gern zurück – sähen sie eine berufliche Perspektive im Land.“ Für diese sorgt die Site mv4you.de mit umfangreichen Informationen zum Neustart in „Meckpomm“.

Und der Ruf der Heimat verhallt nicht ungehört: Wie der „Spiegel“ meldet, seien in Sachsen 2011 zum ersten Mal seit 1997 mehr Menschen zu- als fortgezogen. „Auch Berlin und Brandenburg melden einen positiven Wanderungssaldo. Und Thüringen, das zwar insgesamt immer noch Einwohner verliert, registrierte 2011 immerhin so viele Zuzügler wie seit 15 Jahren nicht mehr.“

Davon kann in Kärnten keine Rede sein. Dennoch – oder gerade deshalb – regt sich private Initiative: Susanne Gerlitz-Stissen, selbst nach Jahrzehnten und einer erfolgreichen Karriere in Wien nach Kärnten zurückgekehrt, will dem „brain drain“, also der intellektuellen Austrocknung, den „brain gain“ – den Zugewinn an gut ausgebildeten, erfahrenen Menschen entgegensetzen. Allein in Wien würden rund 90.000 Kärntner leben, viele davon kluge Köpfe aus Wirtschaft, Kultur, Politik, Wissenschaft, mit tollen Ideen und guten Kontakten. Gerlitz-Stissen: „Die Kärntner in Wien finden sich mit geballter Kraft im Club Carinthia zusammen. Und viele von ihnen haben den Wunsch, nach Jahren in der Fremde wieder in ihr Heimatbundesland Kärnten zu siedeln – doch das scheitert häufig an den Möglichkeiten.“

Der Marketing-Expertin, die als Projekt- und Interim-Managerin ihr Know-how für bestimmte Unternehmensphasen verkauft, geht es dabei um eine neue Willkommens-Kultur, die zur Heimkehr einladen soll. Welche Rahmenbedingungen dafür besonders wichtig sind, untersucht nun das IHS Kärnten im Auftrag der Kärntner Sozialpartner und des Landes Kärnten: Fast 2500 Auswanderer werden befragt, warum sie Kärnten den Rückengekehrt haben – und was geschehen müsste, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Man braucht kein großer Prophet zu sein, um adäquate Arbeitsplätze mit entsprechender Bezahlung neben Wohnraum und Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder als wichtige Themen zu erahnen.

Womit wir wieder bei der Politik wären.

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