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Rund um das Mittelmeer hat die Geschichte Europas begonnen: Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Die Frau mit der weiten Sicht“, im Mythos wird die phönizische Königstochter Europa von Zeus in Gestalt eines weißen Stieres auf eine Insel entführt; allerdings war es Kreta und nicht Zypern.

Dennoch: Am Mittelmeer könnte das Zeitalter des geeinten Europa auch wieder enden. Der nach wie vor drohende Staatsbankrott Griechenlands ist zwar aus dem Fokus der Medien gerückt, aber bei weitem nicht aus der Welt; das winzige Zypern konnte nur mit dem europäischen Tabubruch einer Teilenteignung der Sparer gerettet werden; über Spanien schwebt nach wie das Damoklesschwert der gewaltigen Immobilienblase; Slowenien wird als nächster Pleitekandidat gehandelt; und Italien treibt politisch führungslos durch den Sturm der Schuldenkrise, weil sich die demokratisch gewählten Clowns nicht auf Kapitän und Kurs einigen können. Und wenn Italien sinkt, dann Helm ab zum Gebet.Zwei Euro Griechenland

Das Wohlstands- und Friedensprojekt EU steckt bis über die Räder im Morast. Monströse Arbeitslosenzahlen besonders unter den Jugendlichen und ausgeblutete öffentliche Sozial–und Pensionssysteme bescheren den betroffenen Ländern eine neue Armut, und wenn alle milliardenschweren Verpflichtungen schlagend werden sollten, mit denen die noch einigermaßen handlungsfähigen EU-Partner den Club Med und seine klamme Verwandtschaft über Wasser halten, dürfte es auch mit dem Frieden in Europa bald vorbei sein. Von der Konjunktur kommt auch keine Unterstützung, sie will nicht anspringen, wozu es pro befragten Wirtschaftsnobelpreisträger mindestens eine Erklärung gibt: Die EU-Staaten sparen zu viel oder zu wenig, der Euro ist zu hart oder zu weich, die Rettungsschirme sind zu groß oder zu klein, die EZB unverantwortlich freizügig oder viel zu knauserig. Nur in einer Frage sind sich (fast) alle einig: Deutschland ist schuld, weil die sind zu produktiv und zu billig, und wären die „ugly germans“ auch so abgebrannt wie die meisten anderen Europäer, wäre alles viel besser. Zumindest würden die sich dann besser fühlen und müssten die Deutschen nicht so hassen dafür, dass sie dauernd von ihnen gerettet werden müssen.

Angesichts der finanziellen Situation und seelischen Befindlichkeit Europas ist es also keineswegs erstaunlich, dass den in schwerer Seenot befindlichen europäischen Staatenlenkern mittlerweile jedes Mittel recht ist, um zu Geld zu kommen – oder besser: um ans Geld zu kommen, das der Bürger nämlich. Anders ist es nicht zu verstehen, dass auf einmal Eigentümer von Sparguthaben über 100.000 Euro rasiert werden sollen, wenn ihre Bank untergeht – als ob die Sparer für die oft geisteskranken Zockergeschäfte der Bankmanager verantwortlich gewesen wären, die 2008 mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers die immer schneller rotierende Abwärtsspirale in Gang gesetzt haben.

Gleichzeitig festigt sich der Eindruck, dass es die wirklich Reichen auf wundersame Weise jedes Mal schaffen, ungeschoren davonzukommen: 560 Milliarden Euro sollen beispielsweise die griechischen Eliten nach einem Artikel in der “Zeit“ im Juni 2011 außer Landes geschafft haben, während in ihrer Heimat Schulkinder hungern, Kranke keine Medikamente mehr bekommen und Pensionisten obdachlos werden. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass Euromilliarden aus Zypern abgeflossen sind, während die Banken auf der Insel zwangsweise geschlossen hatten. „Ein Schlupfloch war wohl London. Die Filialen der zyprischen Banken hatten in der britischen Hauptstadt geöffnet, als sie in der Heimat zu waren. Große Investoren konnten so ihr Geld in Sicherheit bringen“, berichtete der Bayerische Rundfunk am 2. April. Auch die griechischen Milliarden sollen in der englischen Finanzmetropole untergetaucht sein und dort, aber auch in Städten wie Berlin oder München, einen Boom bei Superluxusimmobilien ausgelöst haben. Die Preise explodieren, gleichzeitig hat sich die Eigenkapitalquote der Anleger laut einem Bericht in der „Welt“ vom Feber 2013 beinahe halbiert und liegt etwa in der deutschen Hauptstadt bei gerade noch elf Prozent – die nächste Immobilienblase lässt grüßen. Ein europäisches Verzagen auf der ganzen Linie.

Während in London und in den zahlreichen britischen Steueroasen – allein auf den Jungferninseln ist eine Million Firmen registriert, bei 31.900 Einwohnern, schreibt „Spiegel online“ am 13. April – also die Kassen klingeln wie zu den besten Zeiten, hat die EU die wahre Bedrohung von Aufschwung und Weltwirtschaft ausgemacht: Das ösische Bankgeheimnis. Maria Fekter, Ösiens maßstabsgetreue Wiedergängerin von Maggie Thatcher, ist dafür Respekt zu zollen, dass sie mit der ihr eigenen Einfühlsamkeit einer Drahtbürste den EU-Kollegen – vor allem den Trittbrettfahrern aus Großbritannien – den Spiegel ihrer eigenen Doppelbödigkeit vorhält: Zuerst soll der Inselstaat gefälligst sein Geldwäsche- und Steuerbetrugsparadies trockenlegen, dann wird auch Ösien für die angemessene Transparenz im Bankensektor sorgen.

Dafür sollte man Fekter den Beinamen „Europa“ verleihen: die Frau mit der weiten Sicht.

Dieser Text ist erschienen im Wirtschaftsmagazin advantage, Mai/Juni 2013

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