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Von der urwüchsigen Schönheit der Berge und Becken, der Senken und Seen an diesem Schnittpunkt der Landschaften und Kulturen ist der Kärntner selbst so überwältigt, dass er im Heimatlied, der Landeshymne, selbstvergessen das „Heimatland“ gleich in vier Strophen als teuer, freundlich, lieb und herrlich besingt. Nur „Kärnten“ kommt darin kein einziges Mal vor.

Dass dieser erstaunliche, auch Anlass zu allerlei Gewitzel gebende Umstand einen Mangel an Patriotismus ausdrücken könnte, ist im stolzen, wenn auch derzeit unter schwerem Beschuss befindlichen Kärnten unwahrscheinlich. Zu lange war man auf sich allein gestellt, eingeschlossen zwischen Tauern im Norden, Dolomiten im Westen, Julischen Alpen, Steiner Alpen und Karawanken im Süden, der Pack und anderen im Osten. Wenn es also um ein Gefühl des Zusammenhaltens aufgrund erfahrener Isolation geht, vor allem gegen eine mögliche Benachteiligung von außen, macht dem Kärntner in Sachen Patriotismus – und angewandtem politischem Autismus – kaum einer was vor.

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Top of Austria ist ein Kärntner: Der Großglockner, 3.798 Meter hoch

Also eine andere Hypothese: Vielleicht ist die Spanne zwischen Lavamünd und Heiligenblut einfach zu weit, um über einen Kamm namens „Kärnten“ geschoren zu werden. Ist die Vielfalt der Täler und damit der dazwischen aufragenden Bergrücken, der Mundarten, der Trachten, Bräuche, Lieder und Gemüter schlicht zu breit, um sich mit einem Blick erfassen und mit einem Namen nennen zu lassen? Nicht zu vergessen, dass es in manchen Tälern auch noch oben und unten gibt, mit manchmal erstaunlichen Unterschieden in Charakter und Lebensweise, wenn auch oft nur aus der Sicht der dort Ansässigen erkennbar.

Stellen wir uns Kärnten daher als liegendes Rechteck vor, dritteln wir es und nähern wir uns – gegen den Liedfluss – der Seehöhe nach von unten nach oben, von Osten nach Westen, dem Sonnenlauf folgend. Wo von der Alpenluft umweht Pomonens schönster Tempel steht, huldigt das Kärntner Heimatlied dem fruchtigen Tal und der römischen Göttin des Obstsegens. Sie ist hier in Unterkärnten die Schirmherrin für allerlei Geschmackvolles, das natürlich und gesund, in gebrannter Form oft hochprozentig und berauschend ist. Die Gegend selbst ist ländlich und lieblich, oft naturbelassen, wie geschaffen für den sanften Tourismus: die Bergkuppen rund und einladend, für Familienwanderungen ebenso wie für den Sonnenschilauf. Die zahlreichen Gastwirtschaften am Wege sind wahre Tempel der regionalen Küche. Wo durch die Ufer, reich umblüht, der Lavant Welle rauschend zieht, geht es flussabwärts zur Drau, dem Kärntner Strome: Im grünen Kleid ein Silberband, schließt sich mein liebes Heimatland, reimteschon 1822 Johann Thaurer Ritter von Gallenstein; grün stimmt immer noch, aus dem silbernen Band ist allerdings aufgrund zahlreicher umweltfreundlicher Wasserkraftwerke mittlerweile eher eine Perlenkette geworden.

In Mittelkärnten, wo durch der Matten herrlich Grün´ des Draustroms rasche Fluten ziehn, liegt das, was die Kärntner Landesverwaltung eher technisch „den Zentralraum“ nennt: Das Umfeld des Wörthersees samt den beiden Landeshauptstädten Klagenfurt (tatsächlich) und Villach (selbsternannt), die sich nicht nur während des zum amüsanten TV-Ereignis aufgestiegenen Villacher Faschings gerne beflegeln. Hier leben und arbeiten die meisten Kärntnerinnen und Kärntner; der Wörthersee und die vielen Veranstaltungen an seinen Ufern locken im Sommer unzählige Besucher ins Land, und manchmal meint man, Roy Black eben um die Ecke eines der zahlreichen Schlosshotels am Wörthersee verschwinden zu sehen, ein Lächeln und einen Evergreen auf den Lippen. „Ganz in weiß“ geht auch das Heimatlied weiter: Vom Eisenhut, wo schneebedeckt sich Nordgaus Alpenkette streckt, bis zur Karawanken Felsenwand dehnt sich mein freundlich Heimatland. Hier bilden die südlichen Kalkalpen den Abschluss in Richtung Slowenien, vor ihnen liegt das idyllische Rosental, das sich an die Drau schmiegt.

…des Glockners Eisgefilde glänzt: Endlich kommen wir in den westlichsten Teil, zum Großglockner, der stolzen Doppelspitze, die aus 3.798 Metern Höhe auf den Alltag herunterblickt, wo Tirol an Salzburg grenzt. Oberkärnten trägt diesen Namen zu Recht:120 Dreitausender warten auf Wanderer mit langem Atem und fast tausend Pistenkilometer auf Schifahrer oder Boarder mit langem Urlaub. Wo aus dem Kranz, der es umschließt, der Leiter reine Quelle fließt, gibt es Natur im Überfluss: Während andernorts Menschen, Tiere und Natur dürsten und trendige Propheten nach dem Erdöl das Wasser als Gegenstand künftiger globaler Auseinandersetzungen vorhersehen, rinnt und tropft und rauscht und gluckert und donnert es hier im Überfluss und ohne jede Bescheidenheit zu Tale. Es dient lediglich dem Zweck, den Durst des Lebens zu stillen und den Menschen durch eine einzigartige Naturlandschaft zu erfreuen: Laut tosend längs der Berge Rand, beginnt mein teures Heimatland.

Die Landeshymne verzichtet wohl zu Recht auf „Kärnten“: Dieses Land ist zu groß, zu großartig, um sich unter einem Namen zu versammeln; zu viel, zu vielfältig, um nur eine Heimat zu sein. So gesehen müsste sie eigentlich „Heimatenlied“ heißen.

Epilog: Die vierte Strophe

An die wohl prägendsten Momente der jüngeren Kärntner Zeitgeschichte erinnert die vierte Strophe des Heimatlieds, erst 1928 von Agnes Millonig hinzugefügt: Während Kärnten hier aus Gründen der einfacheren intellektuellen Annäherung vertikal in drei Räume (Ober-, Mittel-, Unterkärnten) geteilt wird, hat nach dem ersten Weltkrieg schon einmal jemand versucht, es zum Zwecke der leichteren staatlichen Aneignung horizontal in zwei Teile zu zerlegen.

Der SHS-Staat, das spätere Jugoslawien, witterte nach dem Zerfall der Monarchie 1918 eine günstige Gelegenheit, die Grenze von den Karawanken an die Drau zu verschieben und sich damit ein ganzes Stück Kärnten einzuverleiben: SHS-Truppen schickten sich an, die zweisprachigen Gebiete Kärntens zu besetzen. Dieser versuchte Landraub mündete in den die Identität des Landes heute noch prägenden Kärntner Abwehrkampf, wo Mannesmut und Frauentreu‘ die Heimat sich erstritt auf’s neu‘. Der mutige Widerstand gegen übermächtige Gegner rüttelte die Öffentlichkeit und die Siegermächte auf, am 10. Oktober 1920 kam es nach engagierten Vorarbeiten einer amerikanischen Kommission zur Volksabstimmung: Obwohl im Südosten Kärntens 70 Prozent der Gesamtbevölkerung Slowenisch sprachen, votierten fast 60 Prozent der Befragten für den Verbleib bei der jungen Republik Österreich. Kärnten blieb „frei und ungeteilt“.

Seit damals hat sich die Welt entscheidend verändert: 1998 entschieden sich die Regionen Friaul-Julisch Venezien, Kärnten und Slowenien, sich unter dem Titel „Spiele ohne Grenzen – senza confini – brez meja“ gemeinsam für die Olympischen Winterspiele 2006 zu bewerben. Die Entscheidung fiel dann zwar auf Turin, doch die Idee der trilateralen Kooperation lebte weiter. 2002 entstand daher das touristische Projekt „Playing Together“, in dem die drei Regionen mit all ihren Besonderheiten gemeinsam auftreten: Immerhin begegnen sich zwischen Alpen und Adria die germanische, die romanische und die slawische Welt mit unterschiedlichen Traditionen, Mentalitäten, Naturschönheiten, Stadtbildern, Kunstgewerben und kulinarischen Genüssen.

Wo man mit Blut die Grenze schrieb und frei in Not und Tod verblieb, steht heute nicht einmal mehr ein Grenzbalken: Slowenien ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union, zu Weihnachten 2007 endeten die Kontrollen an den Grenzübergängen, sogar die Gebäude sollen langfristig geschleift werden, damit – wie zwischen Deutschland und Frankreich – nichts mehr an die Zeit erinnert, als man einander mit Tod im Blick gegenüberstand. Und vor genau einem Jahr, im Sommer 2011, erfolgte einer der wohl letzten Schritte der Aufarbeitung in der gemeinsamen und doch so trennenden Geschichte: Am 16. August wurden nach einem internationalen Festakt im Landhaus die ersten der umstrittenen zusätzlichen zweisprachigen Ortstafeln in Bad Eisenkappel aufgestellt – 92 Jahre nach der Kärntner Volksabstimmung, 57 Jahre nach dem Staatsvertrag, 40 Jahre nach dem Ortstafelsturm und 21 Jahre nach der Unabhängigkeit des Nachbarlandes Slowenien.

Und so findet die vierte Strophe des Heimatlieds getrübt, aber ungebrochen von den jüngsten politischen Ereignissen endlich ihre Erfüllung: Hell jubelnd klingt’s zur Bergeswand: Das ist mein herrlich Heimatland.

Dieser Text ist zum Kärntner Landesfeiertag am 10. Oktober im Wirtschaftsmagazin M.U.T. erschienen.

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