Immer mehr Menschen verlassen ihre ländlichen Heimaten auf der Suche nach Jobs, Unterhaltung und Gelegenheiten. Versuch einer Zurückhaltung.
Städte – und im Besonderen Großstädte wie die einzige österreichische: Wien – sind Plätze, wo zu viele Menschen auf zu wenig Raum das Überleben suchen. Gemildert wird dieses für sich schaurige Schicksal durch einige wenige Annehmlichkeiten zur Lösung von Problemen, die man ohne Stadt gar nicht hätte: Die U-Bahn beispielsweise, eine der wenigen baulichen Großtaten von internationalem Rang seit der Errichtung der Ringstraßenpalais. Oder das begehbare Denkmal des ersten Wiener Gemeindebezirkes als Stein gewordene Reminiszenz an die monarchistische Größe, mit deren Verlust die heute als Republikaner getarnten k.u.k.-Untertanen seit bald 100 Jahren nicht fertig geworden sind.
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„Großstädter sind Leute, die vom Land in die Stadt gezogen sind, um hier so hart zu arbeiten, dass sie von der Stadt aufs Land ziehen können.“ George Mikes |
I. Die Schönheit
Innerhalb des Rings ist die Stadt zweifelsohne prunkvoll, wenngleich lebensfeindlich – schon wegen der Preise. Zwischen Ring und Gürtel mag es noch angehen. Alles außerhalb ist ein Fall für die Abbruchbirne. Hier herrscht die Nutzmenschhaltung (© Konrad Lorenz) als nicht artgerechte Aufbewahrungsform für Menschenmaterial in der nichtproduktiven Phase, sprich: Freizeit. Die Ruinengegenden des 15. Hiebs, die Selbstmörderidylle von Erlaa, die an Gotham City gemahnende Gasometerstadt, in die man heute geltungsbetonte Schickimickis genauso komprimiert wie früher das Erdgas – wahrhaft kein „multipler Segen“, wie es vor Jahren im „Standard“ aus der Feder des verehrten Kollegen Gansterer troff.
II. Die Kultur
Auch wenn es Schöngeister schmerzt: Nicht jeden fesseln die Bühnenstücke, Ausstellungen, Kleinkunstdarbietungen und Konzerte, die als oberes Ende des Kunst- und Kulturgenusses um teures Geld dargeboten werden. Mehr noch: Die meisten Steuerzahler, mit deren Zehent (wenn’s nur der wäre!) diese Kurzweil für einige Liebhaber der leichten Muse maßgeblich finanziert wird, würden freiwillig keinen Cent für die meisten dieser Veranstaltungen springen lassen. Denn ausgerechnet die geschmähte Landbevölkerung verfügt meist in unmittelbarer Nähe über einen Stall, in den sie sich begibt, wenn sie eine Notdurftverrichtung betrachten will, und löst dafür nicht eigens geschmalzene Eintrittskarten für eine zeitgemäße Interpretation eines ach so modernen Regisseurs.
Der interessierte und finanziell ausreichend leistungsfähige Rest hingegen belebt das Geschäft städtischer Hotels durch Kulturwochenenden in Wien und Salzburg und anderen Landeshauptstädten, wo man dem Kultur- meist noch den kulinarischen Hochgenuss beifügt und für ein paar Stunden in vollen Zügen die Vorzüge urbanen Lebensstils inhaliert, ohne dessen Nachteile ein Leben lang ertragen zu müssen.
III. Die Geschichte
Wenn es nach Gansterer zu einer „Geistesverdichtung“ in den frühen Städten kam, so ist dem unverzüglich die Geruchsverdichtung hinzuzufügen: Entwässerungsgräben aus Stein mag es zwar 2200 v. Chr. in der Stadt Ur gegeben haben, in Wien mieteten sich wohlbetuchte Heimgänger des Nachts noch im vorvergangenen Jahrhundert einen dienstbaren Geist, der mit der Laterne einige Meter vorweg durch die finst’ren Gassen schritt und rief: „Man geht!…Man geht!…“, um eine unerwünschte Begegnung mit dem Inhalt eines Nachtscherbn zu vermeiden. Wie es da sonst so gerochen haben und zugegangen sein mag, darf sich jeder selbst ausmalen. Betrachtet man heute die unzähligen Hinterlassenschaften von Hunden – denen in der Einsamkeit der Großstadt offenbar eine besondere therapeutische Aufgabe zukommt – auf den Gehsteigen, dann hat sich ja seit dem Mittelalter wenig geändert; derartige Rückstände kommen zwar selten von oben, dafür kann man aber auch niemanden mehr mieten, der einen vor dem entscheidenden Fehltritt bewahrt.
IV. Die Lebensqualität
Wegen der besseren Aussichten hat sich nicht nur die Intellektualität, sondern auch die Kriminalität von Beginn an gern in den Städten eingenistet; und überhaupt wird die von Gansterer dem Städter zugestandene „Ahnung vom Fortgang der Evolution“ bei Betrachtung vieler in Städten massiert vorkommender Individuen deutlich in Frage gestellt. Wenn auch die persönliche Begegnung für den klassischen Wiener Kaffeehausliteraten von unverzichtbarer Bedeutung gewesen sein mag, so sind heute – wenigstens zum Teil – Auswahl und Pflege persönlicher Kontakte über die internetten Möglichkeiten der sozialen Medien auch aus der tiefen Provinz mit einem Mausklick machbar, ebenso die Lektüre internationaler Zeitungen und der Luxus „großer Buchhändler“ in virtueller Form – die Regierung arbeitet zwar daran, aber noch gibt’s die Post, die allen was bringt, auch g’scheite Bücher wie „Das Lernen. Der Geist. Die Siege.“ (Helmut Gansterer, Edition va bene, mittlerweile vergriffen).
Während also dem Provinzler außer einem dichteren Arbeitsmarkt, zugegeben, und dem ohnedies grenzsuspekten Wunsch nach Anonymität kaum etwas fehlt, dessen sich der Städter rühmen könnte, stehen die Vorteile „am Land“ einfach vor der Haustüre: Das Auto beispielsweise, das nicht in einer weitentfernten Gasse einsam vor sich hinrostet und vom emotional verstärkten Transportmittel zum Grund wird, den wunderschönen Sonntagsausflug nach dem Mittagessen abzubrechen, weil sonst der Stau droht oder kein Parkplatz in einem Quadratkilometer Umkreis um die Wohnung zu finden ist.
Vor der Provinztüre findet sich aber auch viel Gegend, die in Form eines Gartens nicht nur Spaß machen und zur gesunden Ernährung beitragen kann, sondern als Sportgerät das teure Fitnesscenter bei weitem übertrifft. Einer der größten Vorteile dieser Tür ist aber, dass sie in der Regel zu einem viel weitläufigeren und in besserem Zustand befindlichen Zuhause zu weit geringeren Kosten als in der Stadt führt.
V. Das Fazit
Landleben hat eben nicht nur mehr Stil, es ist auch sicherer: Die Gefahr, von einem in terroristischer Absicht gegen ein Haus gelenktes Flugzeug erschlagen zu werden – soeben haben sich die Anschläge von Manhattan zum elften Mal gejährt –, ist wesentlicher geringer als jene, beim Schwammerlsuchen von einem mit ausreichend Zielwasser versehenen Jäger als ein kapitales Stück Rotwild erlegt zu werden.