Home

Auf mehr als ein Jahrzehnt Partystimmung und Politfestspiele in Kärnten folgt nun das böse Erwachen: Von den großen Ansagen ist nichts übrig außer Skandale und leere Kassen, ein ganzes System zur Steuergeldprivatisierung steht täglich in der Zeitung und wöchentlich vor Gericht. Ganz Österreich wundert sich mittlerweile über die Landsleute im Süden – egal, ob sie Politiker sind oder Wähler. Stammgäste stellen besorgte Fragen, Investoren wenden sich mit Grausen. Ein Land auf der Suche nach dem Neubeginn.

Es ist die größte Krise Kärntens seit dem Kärntner Abwehrkampf. Damals wie heute stand die Zukunft des Landes auf dem Spiel, aber während der Feind damals von außen kam, verwundet er Kärnten nun von innen. Seit Monaten steht Kärnten – zu Recht – im Brennpunkt der medialen Berichterstattung, wenn wieder eine Eiterbeule des politischen Systems aufplatzt, das mit dem verstorbenen Jörg Haider Einzug gehalten hat und salonfähig geworden ist in der Kärntner Politik. Später streute es Metastasen auch in andere Parteien, deren Immunsystem zu schwach war, um den Verheißungen des politischen Verführers und seiner Erben zu widerstehen. Mittlerweile sind zwei Parteiobmänner und drei Mitglieder der Landesregierung zurückgetreten, gegen fast alle übrigen wird wegen unterschiedlichster Anschuldigungen seitens der Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt. Eine derartige kriminelle Unterwanderung einer ganzen Landesregierung ist in der jüngeren österreichischen Politgeschichte einzigartig.

Bei den öffentlich teilfinanzierten Groß-Events, die Kärnten seit Jahren prägen, legen die Veranstalter gerne Studien über deren Werbewert vor, der sich in Medienberichten bemisst. Würde man die Negativberichte über Kärnten in elektronischen wie Printmedien in den vergangenen Jahren summieren, man müsste einen Milliardenschaden am kostbaren Image des Landes feststellen. Der in Kärnten nun offenkundige Verfall der gesamten politischen Ordnung ist nicht nur das beherrschende Thema im Gespräch der Landesbewohner untereinander, er führt auch zu einem permanenten Rechtfertigungsbedarf für jeden Einzelnen, der privat oder beruflich in anderen Bundesländern zu tun hat. Bei Investorenpräsentationen wie unlängst in London oder im sensiblen Tourismus ist das Thema längst angekommen: „Die Situation ist Gesprächsthema unter Stammgästen wie Hoteliers. Der Außenauftritt des Landes ist derzeit ganz schlecht“, analysiert Eva Hoffmann, Sprecherin der Kärntner Hoteliers. Die Stimmungslage der Touristen, die zum Großteil schon früher zu Gast bei Freunden waren und sich mittlerweile in ihrer Lust am Leben durch das andauernde Politspektakel einigermaßen gestört fühlen, schwappt mittlerweile sogar auf die Leserbriefseiten der Kleinen Zeitung über. „Fragen Sie einmal deutsche Urlauber am Klopeiner See – die schütteln den Kopf über die aktuellen Kärntner Politik-Possen und müssen sich gegenüber Verwandten und Freunden rechtfertigen, warum sie dennoch in dieses Land reisen. Manch einer wird in diesem Jahr wohl das letzte Mal dagewesen sein“, macht beispielsweise Frau Sommer aus Frankfurt am 6. August ihrem Ärger Luft. Und auch Herr Pointner aus Taxenbach will es sich künftig samt Freunden überlegen, sein sauer verdientes Geld in dieses Land mit seinem „mit System gestalteten Gaunereien“ zu bringen.

Aber auch weiter vorne in den heimischen Medien geht es zur Sache. Anneliese Rohrer, Grande Dame des Innenpolitik-Journalismus in Österreich und in Klagenfurt geboren, veröffentlichte in der „Presse“ (4. August) sogar ihr „Geständnis einer Landesverräterin“, in dem sie nach den Ursachen der in Kärnten schwach ausgeprägten Widerständigkeit sucht: „Gewiss, die vorauseilende Unterwerfung, die bis heute nachwirkt, hat ihre historischen Wurzeln. Die Kärntner mussten sein, wie und was andere wollten. Daran kann man sich gewöhnen. Mit der Germanisierung unter der Herrschaft der Habsburger mussten sie deutsch werden und sein, obwohl im Mittelalter das ganze Gebiet slowenischsprachig war. Im 16. Jahrhundert mussten sie katholisch werden, weil nirgendwo sonst die Gegenreformation so unerbittlich durchgesetzt, das Protestantische verboten und Andersgläubige ausgewiesen wurden…Das kann man verstehen. Auch rein wirtschaftlich ist die Tendenz zur Unterwerfung in all den vergangenen Jahrzehnten irgendwie verständlich. Das Land hat wenige bis gar keine normalen Karrierechancen zu bieten. Wer Erfolg haben wollte, musste sich entweder den gerade herrschenden Personen auch schon vor Leopold Wagner und Jörg Haider unterwerfen oder das Land verlassen – und sei es nur bis Graz.“

Auch eine zweite prominente österreichische Schreib-Kraft, Barbara Coudenhove-Kalergi, verortet die Ursachen für die Kärntner Krise in der Vergangenheit. Das Land könne ein Juwel sein, wenn sich die Kärntner endlich ihrer Geschichte stellen und zu sich selbst finden würden, mahnt sie im „Standard“ (8. August): „Die meisten Kärntner sind die Nachkommen mit Gewalt katholisierter Protestanten und viele die Nachkommen mit Gewalt germanisierter Slowenen. Wer seine Wurzeln verleugnen muss, muss viel vergessen. Und wo jahrhundertelang Aufklärung bestraft und Duckmäusertum belohnt wurde, entsteht eine Atmosphäre, die bis heute verhängnisvoll nachwirkt.

Im ausgehenden 16. Jahrhundert war Kärnten zu 90 Prozent evangelisch. Heute machen die Protestanten zehn Prozent aus. Die Gegenreformation stellte die Leute vor die Wahl: entweder ihrem Glauben abschwören oder vertrieben werden. Die Folge war der Verlust der Eliten und der wirtschaftliche Niedergang. Die Gebildeten, aber auch die tüchtigen Handwerker und Bergleute, mussten gehen. Und die Polizei schaute nach, ob irgendwo in den Häusern eine Bibel versteckt war und ahndete deren Besitz streng. Bibellesen und Bücherlesen überhaupt – verdächtig und unerwünscht.

Vierhundert Jahre später fanden sich die Slowenen, die zu ihrer Sprache und ihrer Kultur stehen wollten, vor die gleiche Wahl gestellt. Verleugnung oder Vertreibung. Kein Wunder, dass eine Tradition der Verlogenheit und Geistfeindlichkeit entstand, die in jeder Generation ihre Wirkung entfaltet. Die Lektion der Geschichte war eindeutig: Haltung und Bürgersinn bringen Nachteile. Dummheit und Unterwerfung bringen Vorteile. Bis heute findet man in Wien zahlreiche Kärntner, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie das geistige und politische Klima dort nicht aushielten.“

Sich der eigenen Vergangenheit, vielleicht der seiner Familie, einer ganzen Region zu stellen und damit vielleicht auch den eigenen Fehleinschätzungen und -entscheidungen, ist nicht einfach. Vielen fällt die konsequente Verfolgung eines in seiner Offenbarkeit schmerzlich falschen Weges leichter als die Umkehr. Marco Amann aus Treffen, 21, in der Kleinen Zeitung vom 5. August: „Ich finde, Jörg Haider gehörte und Uwe Scheuch gehört zu den besten Politikern und so wird es auch für viele Kärntner/innen bleiben. Haider war aufrecht und hat für die Kärntner Bürger viel getan… Haider war für uns da, er wird immer in unseren Herzen bleiben. Ich würde die FPK wieder wählen.“ Aber die Strahlkraft des politisch untoten Landesfürsten reicht noch viel weiter: „Für meine Person kann ich sagen, dass ich nach wie vor für Jörg Haider in Lambichl und im Bärental eine Kerze anzünde“, schreibt Kerstin Wagner aus Sachsen Anhalt (11. August, Kleine Zeitung). Bei aller berechtigten Kritik an Haider und seinem fatalen Erbe muss jeden österreichischen Politiker bei so viel posthumer Heldenverehrung der blanke Neid fressen.

Dabei darf man allerdings eine psychologische Erklärung nicht außer Acht lassen, die der an der Klagenfurter Universität arbeitende Traumatherapeut und Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer im Standard (2. August) angestellt hat. Für ihn war die Ära Haider „eine Art Selbstbewusstseins-Großgruppentherapie – um den Preis der Verleugnung der Realität und der Bilanzen. Es war die Landespolitik eines Hochstaplers, auch in finanzieller Sicht.“ In einem Beitrag auf 3sat wurde Ottomeier schon 2009 im Vorfeld der Eröffnung einer vieldiskutierten Haider-Ausstellung im Klagenfurter Bergbaumuseum gefragt, woran die Kärntner Seele kranke.„Man kann das vergleichen mit Menschen, die einem netten, charmanten Heiratsschwindler aufgesessen sind“, so der Psychologe: „Und dann merken sie, dass er nichts als einen Haufen Schulden hinterlassen hat.“

Abseits der Kränkung und Herabwürdigung, der sich viele Kärntnerinnen und Kärntner durch den systematischen Betrug am Wähler und Steuerzahler sowie dessen ebenso schmerzhafte wie unausweichlich notwendige Aufarbeitung ausgesetzt sehen, ist es dieser Haufen Schulden, der neben dem „ruinierten Ruf“ (Zitat Politologe Peter Filzmaier) den Neubeginn des Landes zusätzlich erschweren wird. Denn die Ausgangssituation ist alles andere als rosig, in vielen wichtigen Statistiken trägt Kärnten die rote Laterne: „Der österreichweit geringsten Kaufkraft, den niedrigsten Einkommen, der niedrigsten Frauenbeschäftigungsquote und der niedrigsten Zahl von Kinderbetreuungseinrichtungen stehen die höchste Arbeitslosenquote und die größte Armutsgefährdung gegenüber“, kritisierte SPÖ-Vorsitzender Peter Kaiser am vergangenen 1. Mai. Die größte Abwanderung und die niedrigste Zuwandererquote in Österreich hat er gar nicht erwähnt.

Die Kärntner Wirtschaftskammer hat an Landeshauptmann Dörfler ebenfalls bereits im Mai, vor mittlerweile vier Monaten, ein umfangreiches Schreiben gerichtet, in dem Präsident Franz Pacher seine Sorge über das aus Sicht der Wirtschaft mangelnde Problembewusstsein der Politik gegenüber den ernsthaften Herausforderungen für das Land und seine Zukunft zum Ausdruck gebracht und rund 20 konkrete Fragen zur finanziellen Situation und weiteren Entwicklung des Landes gestellt hat. Dabei ging es um die nach wie vor fehlenden Managementinstrumente zur kaufmännischen Steuerung der Landesverwaltung, die Strategien zum Abbau der – in Österreich mit Abstand umfangreichsten – Landeshaftungen im Ausmaß von etwa 20 Mrd. Euro, die geplanten Maßnahmen des Landes gegen den Bevölkerungsschwund oder weitere Reformen der im österreichweiten Vergleich extrem teuren Kärntner Verwaltung.

Eine Antwort darauf hat Dörfler bis heute nicht gegeben.

 

Dieser Artikel ist erschienen im Magazin M.U.T. (3.2012).

Hinterlasse einen Kommentar