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Nun finden also alle großen Töchter neben den Söhnen ihren Platz in der ösischen Bundeshymne. Wie wird das den Stolz der geringfügig beschäftigen Regalschlichterin im Supermarkt schwellen lassen, den abendlichen Fußschmerz der alternden Kellnerin lindern und den Zorn der jungen Mutter dämpfen, die nicht arbeiten und Geld verdienen kann, weil kein Kindergartenplatz da ist oder die dringend benötigte Krippe zwei Monate Ferien macht. Selber schuld, wäre die große Tochter der vorhergehenden Generation nicht frühzeitig verschieden oder tät sie näher beim Pamperletsch[1] wohnen, dann könnte ja sie auf die Gschrappen aufpassen, wie kommt denn der Staat dazu.

Im Sommer 2011 ist diese ÖVP-Posse nicht nur ein passables Thema zur Verfüllung des Sommerlochs, sondern wirkt auch als gesellschaftliches Betäubungsmittel – ebenso wie royale Hochzeiten und das Habsburg-Begräbnis – ganz hervorragend zur partiellen Hirnlähmung. Anstatt uns über die Textierung der Bundeshymne zu ereifern und den Niedergang der Monarchie (das war nämlich schon vor beinah hundert Jahren in Folge eines durch und durch ösisch geführten Weltkrieges) zu betrauern, sollten wir uns alle verfügbaren Sorgen über uns, das Hier und Jetzt sowie die nähere wirtschaftspolitische Zukunft machen. Denn ein Veränderungstsunami ungeahnten Ausmaßes rast um die Welt und reißt eine Weltordnung nieder, die seit dem zweiten Weltkrieg dem Planeten Halt und Ordnung gegeben hat: Arm und reich, gut und böse, hinten und vorne, Helden und Schurken, Christen und Moslems – alles und jeder hatte seinen festen Platz. Kein heute Sechzigjähriger, groß geworden in den Wirtschaftswunderjahren, hat bisher erlebt, was uns bevorsteht: Die dramatische Verschiebung gewohnter Gleichgewichte, Aufstieg und Fall ganzer Länder und Nationen, mit unabsehbaren, aber im Zweifel düsteren Aussichten für good old europe.

Eine kurze Zusammenfassung ohne Anspruch auf Vollständigkeit: In der arabischen Welt brennt nach wie vor die Revolution gegen Jahrtausende alte Strukturen und für mehr Teilhabe an Wohlstand und Modernität. Dass die aufrüttelnden Bilder blutiger Leiber aus den TV-Nachrichten nahezu verschwunden sind, bedeutet nicht, dass keine Menschen mehr an den Gewehrkugeln skurriler Herrscherfiguren und Ausbeuterregime sterben. Man hat sich nur sattgesehen. Dem vorlauten Frankreich geht im Prestigegefecht gegen den völlig jenseitigen Wüstenprinzen Gadafi langsam die Munition aus, die übrigen Staaten Europas, allen voran Deutschland, glänzen mit nobler Zurückhaltung, moralisch wie finanziell. Die wirtschaftliche und budgetäre Situation Griechenland ist eine Realtragödie, in der auch den übrigen Mitgliedern des Club Medwie Portugal, Spanien und Italien noch eine Hauptrolle zukommen könnte.

Aber was ist das alles gegen den ökonomischen Herzinfarkt der USA? Die Supermacht liegt im Ringstaub und kommt nicht hoch, ausgeknockt wie George Foreman 1974 von einem für chancenlos gehaltenen Muhammad Ali. Die nackten Fakten sind nichts weniger als entsetzlich: Die USA haben 2010 zur Gegenwehr in der selbstverschuldeten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise fast soviel Schulden angehäuft wie alle anderen Länder der Erde zusammen und dabei ein Loch in der Größe von 1,6 Billionen Dollar in ihren Staatshaushalt gerissen. Zur Verdeutlichung: Hätten Sie jeden Tag seit Christi Geburt eine Million Dollar ausgegeben, wären Sie heute immer noch nicht bei einer Billion. Die Zahl der US-Gesamtschulden beginnt mit 14 und hat danach ebenso viele Stellen, ohne Komma. Das sind 14.000 Milliarden Dollar oder umgerechnet etwa 10.460 Milliarden Euro. 40 Prozent der Amerikaner arbeiten in McJobs, viele davon in mehreren gleichzeitig, weil sich mit den lächerlichen Löhnen das Leben sonst nicht ausgeht. Deshalb gibt es auch 40 Millionen US-Bürger, die auf staatliche Lebensmittelmarken angewiesen sind – Tendenz: stark steigend. 32 US-Bundesstaaten können keine Arbeitslosengelder mehr auszahlen, und Hausbesitzer sind mit den Raten im Rückstand wie noch nie. Einige können den amerikanischen Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten allerdings weiterträumen, zum Beispiel Topmanager: Lag das Einkommensverhältnis der Spitzenführungskräfte zum durchschnittlichen Arbeiter in der US-Wirtschaft in den fünfziger Jahren bei 30:1, steht es seit dem Jahrtausendwechsel bei 300 bis 500:1. Die Auswirkungen auf die Massenkaufkraft sind tödlich, der stotternde Konsum radiert weitere Arbeitsplätze und mit ihnen ganze Stadtviertel aus wie etwa in der Motown Detroit, die nach der Implosion der US-Autoindustrie in weiten Teilen aussieht wie die Kulisse eines Hollywood-Endzeitepos.

Während Amerika nach Luft ringt und Europa in typischer Manier zögert und zaudert und seine Finanzkrise nicht in den Griff bekommt, stehen auf der andern Seite der Erdkugel Milliarden Asiaten in den Wohnlöchern, um sich endlich ihr Stück vom Kuchen zu holen. Sie sind fleißig, wissbegierig, oft hervorragend ausgebildet, anspruchslos und unverwöhnt. Sie hören ihre Stunde schlagen, damit der Bartl nicht mehr den Most in Europa und den USA, sondern den Reiswein in China und Indien holt.

Gegen das, was kommt, war der wind of change, der Ende der Achtziger den eisernen Vorhang rund um den Ostblock und die Berliner Mauer hinweggefegt hat und dem die Scorpions ein unvergessliches musikalisches Denkmal gesetzt haben, ein laues Lüfterl. Jetzt rauscht ein Hurrikan der Veränderung heran – wenn Sie können, suchen Sie Schutzräume auf.

PS: Die aus den Medien verdrängte, aber nach wie vor im Gang befindliche Atomkatastrophe in Japan, die Verseuchung der Weltmeere durch unvorstellbare Mengen an Plastikkleinteilen, die ungebremst fortschreitende weltweite Klimavergiftung durch Kohlendioxid, die damit in Zusammenhang stehende Hungersnot in Ostafrika, die neuerlich drohende Weltwirtschaftskrise und den Korruptionssumpf in Österreich habe ich in dieser Depesche nicht erwähnt – sie würde sonst aufgrund ihrer psychisch belastenden Inhalte unter das Jugendschutzgesetz fallen.


[1] Sollte Ihnen der Begriff nicht geläufig sein: Er stammt aus dem Burgenländischen, ist im Osten Ösiens durchaus gebräuchlich, bedeutet Kleinkind und hat über eine Auswanderungswelle in die USA eine der erfolgreichsten Wegwerfwindelmarken der Welt geprägt – Pampers.

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