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Kakanig, im März 2011. Die Politik ist empört – und zutiefst erleichtert: Endlich sind in den Fluten der Wikileaks-Enthüllungen Dokumente aufgetaucht, die den wilden Süden Ösiens der internationalen Bedeutungslosigkeit entreißen. Laut Geheimdokumenten der Nachrichtendienste drohen die teils blutigen Unruhen im Norden Afrikas nun auch auf diesen Landstrich überzugreifen, der mit dem Gaddafi-Clan seit Jahren eng verbunden ist. Der hitzige Protest liegt den für ihre melancholischen Gesänge bekannten Kakaniern allerdings nicht: Informant Orang Utnig meldet, dass dennoch angesichts des verbreiteten Volkszorns gegen das Regime vereinzelt geballte Fäuste in Hosentaschen vermutet werden.

C O N F I D E N T I A L WIN 0815

SIPDIP
DEPARTMENT FOR EUR/ERA
E.O. 18958: DECL: 07/25/2021
TAGS: PGOV PREL EUN KAK IC AU
SUBJECT: OESIA/KAKANIG: POLITICAL DESTABILIZATION
REF: A. 07/02/09 EUR/ERA
Classified by: Oig

Der wachsende Unmut der Bevölkerung richtet sich gegen den seit Jahren andauernden wirtschaftlichen und moralischen Niedergang des ehemals blühenden Landes. Ansammlungen von potentiellen Demonstranten konnten bisher durch die Ausgabe von Getränkegutscheinen in jeweils umliegende Gasthäuser zerstreut werden.  Ein Parteichef und Provinzminister steht vor der Anklage wegen des Verdachts der Korruption, gegen einen weiteren wird wegen illegaler Parteienfinanzierung ermittelt. Einer der bisher größten Kriminalfälle der ösischen Wirtschaftsgeschichte, die in der staatlichen Übernahme endende Pleite der einst stolzen Landesbank von Kakanig, droht trotz eines Milliardenschadens immer mehr im Sande zu verlaufen, während die Beteiligten mit den Taschen voller Geld unbehelligt davonzukommen scheinen.

Deshalb verliert auch die Justiz zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung: Sie ist zwar in der Lage, Falschparker und Zechpreller mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen, zur Verteidigung von Anstand und Ordnung in der Politik und politiknahen Organisationen fehlen ihr aber Mut, Macht und Moneten. Wo das Land etwas zu sagen hat, herrscht inzwischen blanke Günstlings-, Vettern- und Parteibuchwirtschaft, und während den kleinen Beamten aufgrund spektakulärer Leere in den Landeskassen die Löhne, das Fahrtengeld und die Reisekostenersätze zusammengekürzt werden, genehmigt sich die Politikerkaste nach wie vor satte Gehälter, hohe Zulagen und fette Spesenkonten. Deshalb hat man sich ja schließlich vor einiger Zeit einen tiefen Griff in den Steuertopf gegönnt – die Erhöhung der Parteienfinanzierung wurde nach monatelangen öffentlichen Protesten zwar zurückgenommen, die Verdoppelung der Finanzierung für die Landtagsklubs aber stillschweigend eingestreift: Ist der Ruf einmal ruiniert, kassiert es sich ganz ungeniert.

Zentrum der stillen Proteste ist die Landeshauptstadt, die seit Jahren an einem ungenutzten Fußballstadion und einem in die Regionalliga abgestiegenen Klub finanziell verblutet: 250.000 Euronen im Monat kostet laut der „Großen Zeitung“, dem letzten halbwegs unabhängigen Medium der Provinz, die Miete für ungenutzte Oberränge und leere Sessel, weil die Arena wegen bürokratischer Schlamperei die meiste Zeit geschlossen ist. Millionen an öffentlichem Geld flossen an den in der sportlichen Bedeutungslosigkeit versunkenen dazugehörigen Fußballklub. Mittlerweile kann die Stadtverwaltung nicht einmal mehr einfache Aufgaben wie die Parkraumbewirtschaftung ohne Verluste und Gerichte zu bewältigen. Angesichts dieser Zustände hat sich das seit bald zwei Jahren – theoretisch – amtierende Stadtoberhaupt von der Ausübung der politischen Geschäfte zurückgezogen und beschränkt sich auf die Gratulation bei Seniorengeburtstagen und die feiertägliche Unterhaltung des Publikums mit volkstümlichen Gesangseinlagen.

Nun haben sich die Regimekritiker angesichts der explodierenden Unzufriedenheit mit dem politischen Personal zu einem unorthodoxen Schritt durchgerungen: Sie wollen per Inserat in internationalen Medien aktiv nach Persönlichkeiten suchen, die die menschlichen und fachlichen Voraussetzungen mitbringen, um die wichtigsten Funktionen des Landes zu bekleiden – anstatt den Bürgern das letzte Hemd auszuziehen.

Gesucht: Politische Führungspersönlichkeiten für wunderschönen Krisenherd

Wir, die reformorientierten Bürger Kakanigs, haben Verständnis dafür, dass sich beim momentanen Ruf der Politik im Allgemeinen und jenem der Provinz Kakanig im Besonderen kein vernunftbegabter Mensch von Rang und Namen findet, der sich politische Verantwortung antun will. Das Land ist hoch verschuldet, unsere Bank notverstaatlicht, und gegen die Spitzen der Landespolitik ermittelt die Justiz wegen Korruption und illegaler Parteienfinanzierung.

Wir appellieren daher an das Ehrgefühl und den Patriotismus auch – und besonders – jener Frauen und Männer, die ihr Glück außerhalb von Kakanig gesucht und gefunden haben: Kehrt zurück aus Sorge um die Heimat und bringt euch ein, bevor Kakanig politisch und moralisch endgültig zum Balkan Ösiens wird.

Wir erwarten gefestigte Persönlichkeiten ohne (übermäßiges) Vorstrafenregister mit einer für hohe öffentliche Ämter nicht von vornherein indiskutablen Berufslaufbahn, einem Mindestmaß an Bildung und Intellekt und einem zumindest bei gutem Willen erkennbaren Sinn für das Gemeinwohl. Wir bieten eine für die Maßstäbe Kakanigs exzellente Bezahlung und stellen im Erfolgsfall eine mindestens ebenso verklärte Verehrung in Aussicht wie für jenen, der mit seinem Auto wie die Sonne vom Himmel gefallen ist.

 Aussagekräftige Bewerbungen bitte unter der Chiffre „Blut, Schweiß und Tränen“ an den Verlag.

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