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Betreff: Kündigung                                                                  ___________  Kakanig, Juni 2010

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Finanzminister, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident der Europäischen Union!

Als Steuerzahler der Republik Ösien sehe ich mich nach den Vorfällen der jüngeren Wirtschaftsgeschichte veranlasst, Ihnen mein Missfallen und Misstrauen bezüglich der Verwaltung der Ihnen von mir im Wege der Steuerpflicht zur Verfügung gestellten Finanzmittel auszusprechen.

Zum einen bringe ich keinerlei Verständnis dafür auf, dass Sie mit meinem Geld den Bankensektor vor dem Tsunami der von ihm ganz allein verursachten globalen Finanz- und der darauf folgenden Wirtschaftskrise schützen, ohne gleichzeitig die Zuständigen, Verantwortlichen und Schuldigen mit aller Härte des Gesetzes – mit der sonst jeder Falschparker rechnen muss – zur Verantwortung zu ziehen. Vermutlich aufgrund des effizienten Lobbyings der betroffenen Branche haben Sie es sträflich verabsäumt, umgehend ein Regelwerk zu erlassen, das die Wiederholung einer solchen verbrecherischen Bereicherung Einzelner bzw. anonymer Fonds auf Kosten der wehrlosen Allgemeinheit wirksam verhindert und eine angemessene Teilhabe der Gesellschaft an dieser Erwerbsform (=Transaktionssteuer) sicherstellt. Sie haben damit die Sorgfaltspflicht, die Sie als Politiker für die Verwaltung unserer Steuerzahlergelder übernommen haben, grob vernachlässigt.

Die Folgen Ihrer Uneinigkeit und Untätigkeit: Kaum ein Jahr nach der tiefsten Krise seit dem letzten Weltkrieg fliegen schon wieder dubiose Spekulationen auf, wölben sich wieder mit Konjunkturgift gefüllte Blasen in Bankenportfolios, stecken wieder namenlose Fondsverwalter und Bankmanager Milliardenboni ein, als wäre dieses Kapital-Verbrechen an der Weltwirtschaft und den bestohlenen Steuerzahlern nie geschehen. Noch ballen sie ihre Fäuste nur in der Hosentasche.

In dunklen Kanälen verschwindet das Geld der ösischen Steuerzahler, um bei den Banken und Rüstungskonzernen Europas wieder aufzutauchen. Foto: PS

In dunklen Kanälen verschwindet das Geld der ösischen Steuerzahler, um bei den Banken und Rüstungskonzernen Europas wieder aufzutauchen.

Zum anderen verläuft die griechische Tragödie nach demselben Muster: Sie werfen neuerlich mit dem Geld anderer Leute um sich (das diese – da es sich um Kredite handelt – genau genommen erst verdienen müssen) und überweisen es unter vagen Verweisen auf künftige Rückzahlungen an die lebenslustigen, streikfreudigen und dennoch oder gerade deshalb sehr früh pensionsreifen Griechen. Die können damit den Staatsbankrott abwenden und ihre Bankschulden bedienen, womit das, was von unserem Steuerzahlergeld ohnehin nie übrig war, nun auch noch auf den Konten der Millionäre und Milliardäre in den Chefetagen der Banken und Fonds landet.

Zum dritten wollen Sie nun weitere 750 Milliarden Euro bereitstellen, um sie notfalls auch noch den Piraten der Finanzmärkte in den unersättlichen Gierschlund zu werfen. Transaction completed. Banken reich, Fonds steinreich, Bürger arm. Aber Sanktionen gegen Griechenland wegen vorsätzlicher Vertuschung des Finanzdesasters sind Ihnen keine eingefallen, auch nicht gegen jene EU-Politiker und -Beamten, die das bankrotte Land entgegen den klaren Konvergenzkriterien in die Währungsunion aufgenommen haben. Ebenso wenig haben Sie jene gewissenlosen Diebe, die sich in ihrer maßlosen Gier noch damit brüsten, gegen Staaten, Währungen, Grundnahrungsmittel und damit gegen die Lebensinteressen der Menschen unserer Gemeinschaft und der ganzen Welt zu spekulieren, wegen gesellschaftsschädigenden Verhaltens eingesperrt oder international zur Verhaftung ausgeschrieben und ihre europäischen Besitztümer zum Wohle der von ihnen Geschädigten enteignet.

Forderungen, ihre Spekulantenköpfe an langen Stangen auf den internationalen Börseplätzen zur Schau zu stellen, sind selbstverständlich als menschenverachtend zurückzuweisen. Doch das Verständnis für derartige Wünsche wächst, wenn aufgrund dieses wohl größten systematischen Raubzugs der Weltgeschichte just im schlimmsten Krisenjahr 2009 die Zahl der weltweiten Milliardäre auf der Forbes-Liste um 200 Personen zugenommen hat, während gleichzeitig allein in Europa 23 Millionen Menschen ohne Arbeit dastehen. Klingelt da gar nichts in Ihrem politischen Selbst-Bewusstsein? Wird schon – spätestens, wenn sich die Fäuste wie in Griechenland nicht mehr nur in der Hosentasche ballen und die ersten Pflastersteine fliegen.

Aus den angeführten Gründen möchte ich als ösischer Steuer- und europäischer Nettozahler zum nächstmöglichen Termin kündigen. Die Verwaltung meiner Steuerzahlungen und Mitgliedsbeiträge durch Sie, sehr geehrte Herren, kann ich mir nicht länger leisten.

2 Kommentare zu “Brief eines ösischen Steuerzahlers

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