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Neuschottland, April 1912 – Wallace Hartley war entweder ein sehr tapferer oder ein überaus dummer Mann. Er ließ sein Acht-Mann-Orchester auf den immer schiefer werdenden Planken der Titanic gegen die Panik anspielen, damit in aller Ruhe halbvolle Rettungsboote mit den Passagieren der ersten Klasse zu Wasser gelassen werden konnten. Das realitätsferne Wirken der fidelen Kombo ist bis heute in Erinnerung, allerdings: Keiner der Musiker überlebte den Untergang des als unsinkbar geltenden Schiffes, ebenso wie knapp 70 Prozent der übrigen Menschen an Bord, großteils aus den unteren Etagen. Vielleicht wäre etwas mehr Panik durchaus angebracht gewesen.

Titanic

Fidel(nd) in den Untergang auf der "unsinkable Titanic". Foto: http://students.umf.maine.edu

Ösien, Jänner 2009 – Die Vorstände der Ösischen Nationalbank sind überaus tapfere Männer und Bankiers von altem Schrot und Korn. Um nicht einmal den Hauch einer Unsicherheit aufkommen zu lassen, orderten sie mitten in der schwersten globalen Wirtschaftskrise der Neuzeit zweite Dienstautos (BMW 740 Li, Mercedes S450) um kolportierte 140.000 Euro pro Stück. Sollte doch niemand annehmen, die ÖNB habe irgendetwas mit der Weltwirtschaft zu tun. Nach einer Welle der Empörung wurden die Autos „zurückgegeben“.

Während also die Nationalbanker in Kreuzellaune über den dicken Listen aufpreispflichtiger Extras brüteten, trat immer mehr Branchenkollegen der pure Angstschweiß auf die Stirn: Haben sie doch in die Länder Osteuropas im simplen Glauben an den Götzen des ewig währenden Wachstums 300 Milliarden Euro an Krediten gepumpt – das ist deutlich mehr als die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung Ösiens (BIP lt. WKO-Prognose 2009: 292,1 Mrd. Euro). Kein Wunder also, dass die ösische Staatsspitze derzeit in ganz Europa Klinken putzt und versucht, eine Hilfsaktion der EU, des IWF und der Weltbank für den krachenden Osten auf die Füße zu stellen – bislang vergeblich. Die Homepage des Bundeskanzleramts gibt Aufschluss: „Die EU-Kommission reagierte auf derartige Pläne vorerst skeptisch…Die Verantwortung liege nun bei jenen Ländern, deren Banken dort andere Banken gekauft hätten.“  

 

Schweiz, Feber 2009 – Die Union de Banques Suisses (UBS) präsentiert einen Rekordverlust für das vergangene Jahr von 20 Mrd. Franken (13,2 Mrd. Euro), kündigt den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen an und verteidigt gleichzeitig die Notwendigkeit von Bonuszahlungen in der Höhe von 2,2 Mrd. Franken (1,5 Mrd. Euro). Die Schweiz nimmt der UBS dafür faule Wertpapiere im Ausmaß von 62 Mrd. Franken (41 Mrd. Euro) ab.

 

So hat Europa seinen Banken inzwischen Milliarden und Abermilliarden an Steuereuros in den Rachen geworfen. Dennoch: Viele verwenden die staatlichen Nothilfen lieber für Prämien oder lassen sie bei der EZB gering verzinst, aber bombensicher liegen, als die reale Wirtschaft vor dem Erstickungstod in der von den Banken selbst verursachten Kreditklemme zu retten. Die zehntausenden Politiker und die hunderttausenden Wirtschaftswissenschafter in Europa und der Welt haben den Finanztsunami erst erkannt, als er schon über die Börsen, Banken und Arbeitsmärkte hereinbrach – wie die Wachen auf der Titanic, die den Eisberg erst sahen, als es für eine Kursänderung zu spät war.

 

Und schon musiziert das Experten-Orchester mit Schalmeientönen, um die aus ihrer Kauf-Gewohnheit aufgeschreckten Bürger in Sicherheit zu wiegen. Die Passagiere der ersten Klasse setzen sich in aller Ruhe mit komfortabel ausgestatteten Rettungsbooten ab.

  

Vielleicht wäre etwas mehr Panik durchaus angebracht.

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