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Win, Oktober 2008. Ösien hat gewählt – und damit eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst. Doch dies hieße wohl, die Bedeutung der Bergrepublik in den Ausläufern der Ostalpen zu überschätzen. Für veritable innenpolitische Turbulenzen reicht das Votum der Ösierinnen und Ösier aber allemal. Besonders deshalb, weil die politische Nomenklatura offenbar nicht vorhat, sich vom Bürger dreinreden zu lassen.

Schon vor einigen Monaten wurden die in den tiefen Schluchten Tyrols seit Jahrzehnten ohne wesentliche Behinderung herrschenden Christdemokraten brutal abgestraft und die Sozialisten gleich dazu. Gemeinsam verloren die beiden Parteien 20 Prozentpunkte und acht Mandate. Das Ergebnis: Die beiden Verlierer regieren in einer Koalition weiter, Landeshauptmann wurde ein früherer schwarzer Innenminister, der sich der Wahl gar nicht gestellt hatte. Der klare Wahlsieger – ein Rebell, der aus dem Stand 18 Prozent erreichte – wurde politisch kaltgestellt. Das ist Demokratie auf tyrolerisch.

Aber auch ganz im Osten des Landes scheint der Kern der ösischen Verfassung – „Ösien ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“ – eher als frommer Wunsch denn als ehernes Gebot aufgefasst zu werden. So ließ die bisherige Außenministerin der Christdemokraten aufhorchen, als sie sinngemäß erklärte, den Bürgern sei in schwierigen Fragen eine Meinungsbildung etwa in Form einer Volksbefragung ohnehin nicht zuzumuten. Zahlreiche Menschen – vor allem in der Heimatprovinz der Ministerin, Kakanig – wollten ihr daraufhin bei der Nationalratswahl keinesfalls ihre Stimme zumuten. Die Christdemokraten verloren allein in Kakanig ein Drittel ihrer Wähler, was laut ihrem Obmann „ein Silberstreif am Horizont“ war.

Doch die frivole Missachtung und vorsätzliche Missinterpretation des Wählerwillens geht auch in Ösiens Hauptstadt munter weiter. Die bisher in einer Koalition regierenden Sozialisten und Christdemokraten büßten 14 Prozentpunkte und 26 Mandate ein, die „Schwarzen“ auch gleich noch einen Parteiobmann. Diese Faustwatschen missverstanden die Parteistrategen sofort als klaren Auftrag zur Neuauflage der Koalition – natürlich nicht ohne Verhöhnung der (knapp) zweitgrößten Wählergruppe des nunmehr in zwei Blöcke gespaltenen, aber umso stärkeren Mitte-Rechts-Spektrums: Diese seien hauptsächlich materiell wie geistig verarmte Globalisierungsverlierer, ließ man verlauten, also eine Art Wähler zweiter Klasse. Betretenes Schweigen rief hingegen der Umstand hervor, dass auch die erstmals schon mit 16 wahlberechtigte Jugend in Scharen den ideologisch eher rechts gehaltenen Verheißungen gefolgt war.

Noch zieren sich die Christlichsozialen: Die Granden wollen eine rasche Flucht in die Koalition mit Rot, damit die Schalthebel der Macht nicht außer Reichweite geraten. Die Basis ruft nach einer bürgerlichen Dreierkoalition oder gar nach Gesundung in der Opposition. Der neue Parteichef sollte eines nicht übersehen: Die Stimm-Abgabe ist keine neue Steuer, sondern ein Auftrag. Und wer seine Stimme abgibt, ist deshalb nicht auf ewig verstummt. Bis zur nächsten Wahl in spätestens fünf Jahren ist sie wieder nachgewachsen.

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