Ösien, im August 2006. Kakanig ist seit Wochen Schauplatz ernster ethnischer Spannungen. Die ansonsten ruhige Südprovinz Ösiens grenzt im wenig besiedelten, unwegsamen Bergland an die erst vor 15 Jahren den Fängen des Kommunismus weitgehend unblutig entronnene Nachbarrepublik Slewonien. Seit einem Friedensvertrag vor etwa 50 Jahren weigert sich das offizielle Ösien auf seinem Territorium hartnäckig, der dort seit Jahrtausenden ansässigen slewonischen Minderheit die vereinbarten Rechte in vollem Umfang zuzugestehen.
Entgegen westlichen Vermutungen geht es bei dem Konflikt aber nicht um die – offenbar beiderseits als zufriedenstellend betrachtete – Erhaltung der (Amts)Sprache oder Förderung der Kultur der Minderheit, sondern um die Zahl zweisprachiger Orts- und Hinweistafeln. Dies verwundert Ortsunkundige umso mehr, als orientierungslos herumirrende Angehörige der Minderheit in Kakaniĉ – so heißt Kakanig auf slewonisch – nicht als Massenphänomen auftreten.
Ein bereits gefeierter Kompromiss wurde in letzter Minute zur Überraschung der internationalen Gemeinschaft politisch boykottiert: Sowohl der mit harter Hand regierende Provinzkommandant Jogi Hajdar, der sich als Anführer einer in der Provinz noch nie zur Wahl angetretenen Splittergruppe seit Jahren über die nebulosen Urteile der mit Fellen geschmückten Höchstrichter Ösiens hinwegsetzt, als auch die in einen enormen Finanzskandal verwickelte „Partei der schwerreichen Antikapitalisten“ unter Alf Gusenko dürften taktisches Interesse daran gehabt haben, den Konflikt bis zu den nächsten demokratischen Wahlen im Herbst zu schüren.
Beobachter halten eine Eskalation der Lage für möglich, schließlich hat der schwelende Volksgruppenstreit unter den ansonsten friedliebenden Kakanigen schon vor etwa 30 Jahren zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt: Dabei wurden sogar einige Ortstafeln umgeworfen. Nun erwarten die Sicherheitskräfte eine dramatische Verschärfung der Situation: Aus Protest gegen die Haltung der Regierung könnten sich vereinzelte Mitglieder der slewonischen Minderheit brutaler Terrorpraktiken bedienen und mit ihren Fahrzeugen die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit in Ortsgebieten vorsätzlich überschreiten.
Provinzbefehlshaber Hajdar hat bereits gedroht, alle Ortstafeln, die ihre Funktion nicht ordentlich ausüben würden, eigenhändig zu versetzen.